Capgras Syndrom

wahnhafte Missidentifikation von meist vertrauten Mitmenschen. Für die meisten Menschen ist das Thema eine wenig anspruchsvolle Abendunterhaltung im Fernsehen. Was Gegenstand zahlreicher Filme und Sciencefiction Bücher ist, ist für viele Menschen Realität. Ihre Vertrauten sind durch Aliens oder Doppelgänger vertauscht worden. Das Phänomen wurde bereits 1923 beschrieben und ist nach dem französischen Psychiater Jean Marie Joseph Capgras benannt. Von Betroffenen wird eine nahe stehende Person, meistens den Ehepartner, als Double vertauscht oder durch einen Betrüger ersetzt erlebt und angesehen. Manche Menschen erleben ihre Angehörigen als Roboter oder Aliens. Oft wird den Betroffenen klar, dass der Austausch der Person bereits vor Jahrzehnten stattgefunden haben muss. Es können auch mehrere Personen als Double erlebt werden. Selten weitet sich das Syndrom auf Tiere (Haushund, Katze.. ) aus. Manchmal sind sich die Betroffenen bewusst, dass es sich um Trugwahrnehmungen handelt. Auch dann, wenn fest an die Wahrheit der Trugwahrnehmung geglaubt wird, finden sich die Betroffenen häufig damit ab, dass sie mit einem Double oder einem Alien zusammenleben. Eher selten reagieren sie aggressiv. Frauen scheinen häufiger betroffen zu sein. Manchmal gehen Auseinandersetzungen voraus, der Betroffene scheint manchmal seine negativen Gefühle gegenüber der anderen Person nicht akzeptieren zu können. Die „Vertauschung“ der Person scheint es dann einfacher zu machen, negative Gefühle zu empfinden und zu äußern. Das Syndrom kann im Rahmen einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie auftreten, häufig tritt es aber auch bei affektiven Störungen oder im Rahmen von Demenzen oder Delirien verschiedenster Ursache auf. Wenn die Störung im Rahmen einer Demenz auftritt, verschwindet sie oft mit Verschlimmerung der Demenz wieder. Wenn eine organische Hirnerkrankung ursächlich ist (1/3-1/2 der Fälle), ist meisten der rechte parietookzipitale Bereich von einer Durchblutungsstörung oder einem Tumor betroffen, auch als Folge von Schädeltraumen kommt das Syndrom vor. Schädigungen der rechten Hirnhälfte und temporo-limbische Schädigungen können ebenfalls ursächlich sein. Man nimmt an, dass es sich um eine Störung in den für die Gesichtserkennung wichtigen Hirnbereichen handelt. Das Syndrom ist mit der Gesichtsblindheit (Prosopagnosie) verwandt. Betroffene fixieren im Experiment allgemein Gesichter und Augen weniger, sie zeigen auch keine unterschiedliche vegetative Reaktion, beim Betrachten bekannter und nicht bekannter Gesichter. Übergänge zum Normalen kommen vor, manche Patienten erleben nahe stehende Personen plötzlich als fremd, und fremde Menschen plötzlich als vertraut. In diesen Fällen ist dann eine Kommunikationsstörung zwischen beiden Hirnhälften beteiligt. Patienten mit einem organische bedingten Capgras Syndrom scheinen weniger emotional auf vertraute Personen und Gesichter zu reagieren. Die Behandlung richtet sich nach der Grunderkrankung. Es bestehen Ähnlichkeiten zu dem Cotard- Syndrom, bei dem die Betroffenen das Empfinden haben, sie seien tot. Eine gewisse Ähnlichkeit hat das Fregoli- Syndrom, hier besteht der wahnhafte Glaube, dass eine oder oft mehrere früher vertraute Personen, die jetzt zu Verfolgern geworden sind, immer wieder ihr Aussehen ändern. Das Fregoli- Syndrom tritt meist im Rahmen schizophrener Erkrankungen auf. Capgras Syndrome werden vermutlich häufig übersehen und nicht diagnostiziert. Da oft behandelbare Grunderkrankungen vorliegen, ist eine psychiatrische und neurologische Untersuchung in jedem Fall sinnvoll. Die wahnhafte Missidentifikation kann die Patienten zu aggressive Handlungen gegen ihre Angehörigen oder andere verkannte Personen motivieren.

 

Quellen / Literatur:

  • siehe auch unter Prosopagnosie (gestörte Gesichtererkennung) und Frégoli-Syndrom
  • Ellis HD, Young AW, Quayle AH, De Pauw KW 1997.
  • Young AW, Reid I, Wright S, Hellawell DJ 1993
  • Ellis HD, de Pauw KW, Christodoulou GN, Papageorgiou L, Milne AB, Joseph AB 1993..
  • Ellis HD, Lewis MB 2001.
  • Young AW, Leafhead KM, Szulecka TK 1994.
  • Brighetti G, Bonifacci P, Borlimi R, Ottaviani C.“Far from the heart far from the eye“: evidence from the Capgras delusion. Cognit Neuropsychiatry. 2007 May;12(3):189-97.
  • Portwich P, Barocka A (1998) Das Capgras-Syndrom und andere Syndrome wahnhafter Verkennung (DMS). Nervenheilkunde 17: 296–300
  • Capgras, J, Reboul-Lachaux, J. (1923) Illusion des sosies dans un delire systematise chronique. Bulletin de la Societe Clinique de Medicine Mentale, 2, 6-16.
  • R. Righart and B. de Gelder Impaired face and body perception in developmental prosopagnosia
    PNAS, October 23, 2007; 104(43): 17234 – 17238. [Abstract]
  • B. Rossion, C. Schiltz, L. Robaye, D. Pirenne, and M. Crommelinck, How Does the Brain Discriminate Familiar and Unfamiliar Faces?: A PET Study of Face Categorical Perception, J. Cogn. Neurosci., October 1, 2001; 13(7): 1019 – 1034. [Abstract] [Full Text] [PDF]
  • J. Hornak, J. Bramham, E. T. Rolls, R. G. Morris, J. O’Doherty, P. R. Bullock, and C. E. Polkey Changes in emotion after circumscribed surgical lesions of the orbitofrontal and cingulate cortices Brain, July 1, 2003; 126(7): 1691 – 1712. [Abstract] [Full Text] [PDF]
  • Veit Rössner, A New Classification of the Delusional Misidentification Syndromes, Psychopathology 2002;35:3-7 (DOI: 10.1159/000056209)
  • T. Onitsuka, M. E. Shenton, K. Kasai, P. G. Nestor, S. K. Toner, R. Kikinis, F. A. Jolesz, and R. W. McCarley Fusiform Gyrus Volume Reduction and Facial Recognition in Chronic Schizophrenia Arch Gen Psychiatry, April 1, 2003; 60(4): 349 – 355. [Abstract] [Full Text] [PDF]
  • Katsuki Nakamura, Ryuta Kawashima, Kengo Ito, Motoaki Sugiura, Takashi Kato, Akinori Nakamura, Kentaro Hatano, Sumiharu Nagumo, Kisou Kubota, Hiroshi Fukuda, and Shozo Kojima, Activation of the Right Inferior Frontal Cortex During Assessment of Facial Emotion J Neurophysiol 82: 1610-1614, 1999 [Abstract] [Full Text]
  • R.N. Henson, Y. Goshen-Gottstein, T. Ganel, L.J. Otten, A. Quayle, and M.D. Rugg Electrophysiological and Haemodynamic Correlates of Face Perception, Recognition and Priming Cereb Cortex, July 1, 2003; 13(7): 793 – 805. [Abstract] [Full Text] [PDF]
  • B. Laeng and V. S. Caviness Prosopagnosia as a Deficit in Encoding Curved Surface J. Cogn. Neurosci., July 1, 2001; 13(5): 556 – 576. [Abstract] [Full Text] [PDF]
  • R.N. Henson, Y. Goshen-Gottstein, T. Ganel, L.J. Otten, A. Quayle, and M.D. Rugg Electrophysiological and Haemodynamic Correlates of Face Perception, Recognition and Priming Cereb Cortex, July 1, 2003; 13(7): 793 – 805. [Abstract] [Full Text] [PDF] U. Hasson, G. Avidan, L. Y. Deouell, S. Bentin, and R. Malach Face-Selective Activation in a Congenital Prosopagnosic Subject J. Cogn. Neurosci., April 1, 2003; 15(3): 419 – 431. [Abstract] [Full Text] [PDF]
  • R.N. Henson, T. Shallice, M.L. Gorno-Tempini, and R.J. Dolan Face Repetition Effects in Implicit and Explicit Memory Tests as Measured by fMRI Cereb Cortex 2002 12: 178-186.Abstract] [Full Text]
Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur