bei älteren Patienten mit unterschiedlich verursachten Sehstörungen auftretende visuelle Halluzinationen, sogenannte „Release-Halluzinationen” bei partieller Visusdeprivation. Die Patienten bleiben bewusstseinsklar, es fehlen andere Arten von Halluzinationen (multimodale Halluzinationen), es entsteht in der Regel kein Wahn. Als Ursache wird eine Deafferenzierung, oder ein Mangel an tatsächlichem visuellem Input zu Gehirn angesehen. Dem Release-Phänomen wird also eine ähnliche Grundlage nachgesagt wie Sensationen am Phantomglied nach einer Amputation. Für diese Hypothese spricht ein Experiment, bei dem 13 normalsichtigen Personen für 5 aufeinander folgende Tage vollständig die Augen verbunden wurden, von diesen berichteten 10 im Mittel nach einem Tag über visuelle Halluzinationen. Journal of Neuro-Ophthalmology: June 2004; 24/2 109-113 Ähnliches wird für Musikalische Halluzinationen bei plötzlichen Hörverlust berichtet. In Studien mit Patienten mit schwerem Visusverlust ließen sich bei 6.3%–13% der Patienten visuelle Halluzinationen erfragen, die am häufigsten bei den Patienten auftraten, bei denen der Sehverlust abrupt eingetreten war. Warum beim Hörverlust Musikalische Halluzinationen und keine Stimmen auftreten, ist bisher nicht bekannt.
Bekannte Gegenstände werden für etwas anderes gehalten. Oft Halluzinationen von Menschen oder Tieren, die in der Wohnung sind. Nicht selten auch komplexe Szenen mit Gruppen von Menschen, meist ohne dass diese versuchen den Patienten zu beeinträchtigen. Die Patienten erleben diese Visionen manchmal während langen Zeiträume, fürchten sich aber, diese mitzuteilen, aus Angst, für verrückt erklärt zu werden. Schließlich jedoch reagiert der Patient; erbost befiehlt er den Fremden, das Haus zu verlassen und beschuldigt sie des Diebstahls. Insgesamt ist aber der fehlende Bedrohungscharakter typisch. Spätestens nach entsprechender Aufklärung ist den Patienten in der Regel der halluzinatorische Charakter ihrer Wahrnehmungen bewusst..
Gegenstand der Halluzinationen sind in absteigender Häufigkeit: Erwachsene, Kinder, Haustiere, andere Tiere, leblose Objekte. Szenische Konfiguration ist fast genau so häufig wie das halluzinierte Einzelobjekt. Scharfe Konturierung, stereotype Erscheinung, Mobilität und natürliche Größe sind weitere, häufig genannte Charakteristika. Eine Farbenpräferenz ist nicht erkennbar. Ähnliches tritt auch bei Parkinsonpatienten manchmal (bis zu einem Drittel der Patienten) auf, dort wohl Folge der Medikamente wie Anticholinergika, L-Dopa. Die Halluzinationen sind charakteristischerweise jeweils kurzdauernd (Sekunden oder Minuten), meist geräuschlos, und treten meist im Dämmerlicht auf. Augenschluss, Wegsehen oder Licht anmachen kann die Halluzinationen vertreiben. Wird die Ursache (z.B. grauer Star) beseitigt, verschinden die visuellen Halluzinationen meist vollständig.
Die Halluzinationen im Rahmen des Charles Bonnet Syndroms können über Jahrzehnte bestehen bleiben, können aber auch noch nach vielen Jahren einfach verschwinden. Viele Patienten leiden nicht unter ihren Halluzinationen und bedürfen deshalb keiner Behandlung sondern nur einer Aufklärung. Es handelt sich um eine Folge der Sehstörung und nicht um eine psychische Störung oder einen Hinweis auf ein Delir. Große Studien zur Wirksamkeit von Medikamenten bei diesem seltenen Syndrom gibt es nicht. Berichte über die Anwendung von Risperidon, Cisaprid, Valproat, Carbamazepin, Clonazepam, SSRIs, Gabapentin und Olanzapin finden sich aber in der Literatur,- mit unterschiedlichen Behandlungsergebnissen.
Wenn zusätzlich zu den Halluzinationen neurologische Symptome, ein kognitiver Abbau, oder eine mangelnde Einsicht in die Tatsache, dass es sich um Halluzinationen handelt vorliegt sollte die Diagnose überprüft werden und nach anderen Ursachen der Halluzinationen gesucht werden.
Quellen / Literatur:
- M.L. Jackson and J. Ferencz Charles Bonnet syndrome: visual loss and hallucinations Can. Med. Assoc. J., August 4, 2009; 181(3-4): 175 – 176. [Full Text] [PDF]
- Suzanne Holroyd, Successful Treatment of Hallucinations Associated With Sensory Impairment Using Gabapentin J Neuropsychiatry Clin Neurosci 20:364-366, August 2008
- Holroyd S, Rabins PV, Finkelstein D, et al: Visual hallucinations in patients with macular degeneration. Am J Psychiatry 1992; 149:1701–1706
- E. J. Abbott, G. B. Connor, P. H. Artes, and R. V. Abadi Visual Loss and Visual Hallucinations in Patients with Age-Related Macular Degeneration (Charles Bonnet Syndrome) Invest. Ophthalmol. Vis. Sci., March 1, 2007; 48(3): 1416 – 1423. [Abstract]
- C. S. H. Tan, B. A. Sabel, and K.-Y. Goh Visual hallucinations during visual recovery after central retinal artery occlusion. Arch Neurol, April 1, 2006; 63(4): 598 – 600. [Abstract]
Lepore FE. Spontaneous visual phenomena with visual loss: 104 patients with lesions of retinal and neural afferent pathways. Neurol 1990; 40: 444-447, - S A Madill, D H Ffytche, and C. S. Tan Charles Bonnet syndrome in patients with glaucoma and good acuity Br J Ophthalmol, June 1, 2005; 89(6): 785 – 786. [Full Text] [PDF]
- G. J. Menon Complex Visual Hallucinations in the Visually Impaired: A Structured History-Taking Approach Arch Ophthalmol, March 1, 2005; 123(3): 349 – 355. [Abstract]
- C S H Tan, V S Y Lim, D Y M Ho, E Yeo, B Y Ng, and K G Au Eong Charles Bonnet syndrome in Asian patients in a tertiary ophthalmic centre Br J Ophthalmol, October 1, 2004; 88(10): 1325 – 1329. [Abstract]
- Paulson GW. Visual hallucinations in the elderly. Gerontology 1997; 43: 255-260 Merabet, Lotfi B. et al., Visual Hallucinations During Prolonged Blindfolding in Sighted Subjects Journal of Neuro-Ophthalmology: June 2004; 24/2 109-113
- Biousse V, Skibell BC, Wattts R, et al. Ophthalmologic features of Parkinson’s disease. Neurology 2004;62:177–80.
- Lang UE, Stogowdki D, Schulze D, et al. Charles Bonnet syndrome: successful treatment of visual hallucinations due to vision loss with selective serotonin reuptake inhibitors. J Psychopharmacol 2007;21:553–7
- J Barnes and A S David Visual hallucinations in Parkinson’s disease: a review and phenomenological survey J. Neurol. Neurosurg. Psychiatry, June 1, 2001; 70(6): 727 – 733. [Abstract] [Full Text] [PDF]
- S Holroyd, L Currie, and G F Wooten Prospective study of hallucinations and delusions in Parkinson’s disease J. Neurol. Neurosurg. Psychiatry, June 1, 2001; 70(6): 734 – 738. [Abstract]
- D. H. ffytche and R. J. Howard The perceptual consequences of visual loss: `positive‘ pathologies of vision Brain, July 1, 1999; 122(7): 1247 – 1260. [Abstract] [Full Text] [PDF]