Der Begriff kommt aus der medizinischen Soziologie. Pilowsky führte den Begriff ein um Syndrome mit ausgeprägt inadäquatem Verhalten als Reaktion auf eine Erkrankung zu benennen, als Symptome nannte er besonders Hypochondrie und die Verleugnung der Erkrankung. Krankheitsverhalten bezieht sich auf die kognitiven, wahrnehmungs- und Verhaltensaspekte der Reaktion eines Menschen auf seine Erkrankung. Kulturspezifische und soziale Rollenerwartungen sowie Einrichtungen des Gesundheitswesens prägen das Krankheitsverhalten. Entscheidend nicht adäquates Krankheitsverhalten ist Diskrepanz zwischen den körperlichen Beschwerden und den somatischen Befunden. Gesundheit wird vom einzelnen subjektiv beurteilt. Der Begriff Krankheitsverhalten versucht hier ein objektives Kriterium einzuführen, was auch problematisch ist. Dies betrifft sowohl Menschen, die sich zwar gesund fühlen, aber an einer (unentdeckten) körperlichen Krankheit, als auch umgekehrt körperlich gesunde Menschen die sich auf Grund inadäquater Interozeption als krank empfinden. Unangemessenes Krankheitsverhalten ist die mangelhafte Wahrnehmung von Körpervorgängen (Interozeption). Man kann nach Gerdes (1995) Patienten 3 Gesichtspunkten einteilen: 1. Patienten mit einem gravierenden medizinischen Befund, 2. Patienten mit „leichten“ oder „mittleren“ medizinischen Befunden aber „extrem auffälligen“ subjektiven Belastungen 3. Patienten mit fraglicher oder eindeutiger „Überinanspruchnahme“ der medizinischen Versorgung. Psychotherapeutischer Behandlungsbedarf wird in den Gruppen 2 und 3 gesehen. Medizinische Information alleine kann in diesen beiden Gruppen das Krankheitsgefühl und entsprechende Ängste verstärken. Menschen mit Angststörungen insbesondere Panikstörung zeigen das höchste Maß an Krankheitsverhalten und Nutzung von Ressourcen des Gesundheitssystems. Insgesamt steigt aber bei allen psychischen Störungen das Krankheitsverhalten deutlich an. Bei Menschen mit psychischen Störungen steigt dabei insgesamt besonders die Anzahl der Hausarztbesuche, weniger die Besuche beim Psychiater oder Psychologen. Psychosomatic Medicine 67:596–601 (2005) Von „chronischem Krankheitsverhalten“ wird gesprochen, wenn das subjektive Krankheitserleben von Patienten und das daraus resultierende Verhalten in keinem angemessenen Verhältnis zu den medizinischen Befunden steht. Im Fokus der Betrachtung stehen hier vor allem diejenigen Patienten, die sich kränker verhalten, als nach der aktuellen medizinischen Befundlage gerechtfertigt erscheint. Eine wesentliche Voraussetzung für die Entstehung eines unangemessenen oder chronischen Krankheitsverhaltens ist eine mangelhafte und ungenaue Wahrnehmung von Körpervorgängen. Iatrogene Faktoren spielen eine wesentliche Rolle, ebenso Modelllernen. Merkmale chronischen Krankheitsverhaltens sind dabei zunehmende Passivität und Hilflosigkeit, damit Verlust an Selbsthilfemöglichkeiten und zunehmende Inanspruchnahme medizinischer Maßnahmen. Kontrollüberzeugungen beeinflussen wesentlich das krankheitsbezogene Krankheitsverhalten. Sie bestimmen in erheblichem Maße das Denken und Fühlen von Patienten. Erwartungen über den weiteren Verlauf der Erkrankung und die subjektive Erfolgserwartung an die Behandlung entscheiden mit über die Prognose eines Symptoms oder einer Störung. Das Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit des eigenen Körpers geht verloren, ebenso das Vertrauen in die eigene psychische Funktionstüchtigkeit. Es kommt zu körperliches Schonverhalten und damit zu körperlicher Trainingsmangel. Psychisches und soziales Schonverhalten führt zu sozialem Trainingsmangel. Entspannungsmöglichkeiten werden immer weniger. Der Krankheitsgewinn trät wesentlich zur Entwicklung des chronischen Krankheitsverhaltens bei. Unangenehme Tätigkeiten können wegen Krankheit vermieden werden, gleichzeitig kann mehr Zuwendung eingefordert werden. „Wer als Kind von seinen Eltern übertrieben fürsorglich behandelt wurde, wenn er krank war, hält sich als Erwachsener für krankheitsanfälliger.“ Besonders selbst hypochondrische Eltern neigen dazu bei ihren Kindern eine Erkrankung über zu bewerten, dies wird vom Kind übernommen. Kinder übervorsichtiger Eltern neigen als Erwachsene dazu, mehr und stärkere Krankheitssymptome wahrzunehmen und Körpersignale falsch zu deuten als Personen, deren Eltern gelassener reagierten. Besorgnis und Überbehütung durch die Eltern wirken als positiver Verstärker: Soziale Beziehungen werden immer mehr durch die Krankenrolle geprägt, es entsteht die Gefahr des Missbrauchs von Medikamenten und eine zunehmende Abhängigkeit vom medizinischen Versorgungssystem. Wesentlich für die Entwicklung eines chronischen patholgischen Krankheitsverhaltens ist eine erhöhte Sensitivität bezüglich der Köperwahrnehmungen, eine Fehlattribuierung bei der Ursachenzuschreibung und Symptomwahrnehmung, katastrophisierende Gedanken und Grübeleien, die das Gefühl der Hilflosigkeit verstärken.
Quellen / Literatur:
Pilowsky I. Abnormal illness behaviour. Br J Med Psychol 1969; 42:347–351.Pilowsky I. The concept of abnormal illness behavior. Psychosomatics 1990; 31:207–213. Crane C, Martin M: Adult illness behaviour: The impact of childhood experience. Personality and Individual Differences 2002; 32: 785–798.Brähler, E. & Schumacher, J. (2002). Befund und Befinden: Psychologische Aspekte körperlicher Beschwerden. In E. Brähler & B. Strauß (Hrsg.),Handlungsfelder der psychosozialen Medizin (S. 208-241). Göttingen: Hogrefe.