Das Cornelia-de-Lange-Syndrom ist ein Dysmorphiesyndrom, das durch multiple angeborene Fehlbildungen und in den meisten Fällen durch eine schwere geistige Behinderung gekennzeichnet ist. Die Erstbeschreibung wurde von der gleichnamigen holländischen Kinderärztin im Jahre 1933 vorgenommen. Die Diagnose kann bis heute nur aus den klinischen Merkmalen gestellt werden. Trotz mehrerer Versuche konnte bislang weder ein biochemischer noch ein chromosomaler Marker gefunden werden. Es findet sich kein Geschlechtereffekt, ebenso kein systematischer Einfluß des Alters der Eltern auf die Auftretenshäufigkeit. Das empirische Wiederholungsrisiko bei Geschwistern von CdLS-Kindern liegt zwischen 2% und 5%. Zu den körperlichen Merkmalen gehören Microcephalie, Minderwuchs, charakteristische Gesichtszüge, Anomalien und Fehlbildungen der Gliedmaßen, exzessive Körperbehaarung Minderwuchs, niedriges Körpergewicht und Microcephalie gehören zu den obligatorischen Merkmalen. Die durchschnittliche Endgröße von Kindern mit CdLS liegt bei Mädchen knapp über 130 cm, bei Jungen knapp unter 150 cm. Schon das Geburtsgewicht liegt in vielen Fällen unter 2500 g. Leitsymptome für die Diagnosestellung sind meist die Besonderheiten des Gesichts (u.a. zusammengewachsene Augenbrauen, lange Augenlider und niedriger Haaransatz, dünne Lippen, prominentes Philtrum), so dass die Diagnose in vielen Fällen in den ersten Tagen nach der Geburt gestellt werden kann. Die Anomalien der Hände und Füße sind sehr unterschiedlichen Schweregrades. Zu den häufigen medizinischen Komplikationen gehören gastrointestinale Störungen mit gastroösophagealem Reflux (Rückfluss des Mageninhalts in die Speiseröhre) und schweren Ernährungsstörungen (Würgen und häufiges Erbrechen, Kau- und Schluckprobleme, geringes Interesse an Nahrungsaufnahme). Sekundär treten gehäuft Ösophagitis (schmerzhafte Entzündung der Speiseröhre), Anämie und Aspirationsneigung auf. Sie tragen zur Wachstumsminderung der betreffenden Kinder bei und gehören zu den häufigsten Todesursachen. Kongenitale Herzdefekte unterschiedlicher Art, verschiedene Augenprobleme und Hörbeeinträchtigungen können auftreten. Obwohl alle Patienten mit CdLS einen charakteristischen Phänotyp und eine bestimmte Merkmalskombination aufweisen, ist der Ausprägungsgrad insgesamt sehr variabel. Heutzutage wird deshalb die klassische Form unterschieden von einer „milden Ausprägungsform“, bei denen Minderwuchs, intellektuelle Beeinträchtigung und Gesichtsdysmorphien weniger auffällig sind und keine Reduktionsfehlbildungen der Extremitäten vorliegen. Kognitive und adaptive Entwicklung beim klassischen CdLS Es gibt mehrere empirische Erhebungen zum Entwicklungsprofil bei Patienten mit klassischem CdLS. Ich werde einige Ergebnisse zusammenfassend darstellen. Die Selbständigkeitsfertigkeiten der betroffenen Personen sind eingeschränkt, wobei man das Alter und den individuellen Entwicklungsstand nicht außer Acht lassen darf. Soweit Differenzierungen zwischen einzelnen Teilbereichen möglich waren, fanden sich relative Stärken im Bereich der visuellen Perzeption und Speicherung; hier lagen die Ergebnisse bis zu drei Standardabweichungen höher als in den anderen Bereichen. Die feinmotorischen Fertigkeiten waren oft besser als der Entwicklungsstand im Allgemeinen, soweit keine Gliedmaßenfehlbildungen schwerer Art vorlagen. Die expressive Sprache war in den meisten Fällen deutlich weiter retardiert als das Sprachverständnis, beide Bereiche lagen niedriger als die übrigen Fähigkeiten. Der Entwicklungsverlauf hängt offensichtlich auch von der Intensität der Frühförderung ab. Laufen, Sitzen, Essen und Anziehen lernen, ebenso selbständig einfache Aufträge ausführen machen den Betroffenen zum großen Teil erhebliche Schwierigkeiten. Nur wenige Kinder erreichen einen gewissen Grad an Selbständigkeit. Sprachliche Entwicklung In den bislang durchgeführten Studien zeigte sich, dass bei vielen Menschen mit der klassischen Form des CdLS die Sprachentwicklung ein besonderes Problem darstellt. Spezielle Defizite sind allerdings nicht für alle Kinder mit CdLS charakteristisch. Kinder, bei denen die Sprachentwicklung ausblieb oder sehr stark verzögert war, hatten oft ein Geburtsgewicht unter 2500 g, eine mäßige oder schwere Hörbehinderung, Reduktionsfehlbildungen der oberen Extremitäten, eine geringe Kontaktfähigkeit und eine stark verzögerte motorische Entwicklung. Auch die Kinder, die sich nicht mit Worten verständigen lernen, erreichen aber oft nonverbale Ausdrucksfähigkeiten, die für ihre soziale Integration von großer Bedeutung sind. Sie suchen z.B. die Aufmerksamkeit des Erwachsenen, indem sie sich ihm nähern, lautieren oder die Arme ausstrecken, um hochgenommen zu werden. Sie können ausdrücken, dass sie etwas nicht möchten, indem sie seine Hand wegschieben. Um Wünsche und Bedürfnisse auszudrücken, benutzen zumindest einige der älteren Kinder differenzierte gestische Ausdrucksmittel. Sie übergeben Objekte, wenn sie die Hilfe des Erwachsenen bei einer Tätigkeit brauchen, ziehen ihn an der Hand, damit er mit ihr/ihm irgendwohin geht, lächeln ihn an, wenn sie von ihm etwas möchten. Hinzeigen ist dagegen auch bei den älteren Kindern selten. Sozial-emotionale Verhaltensweisen Die sozial-emotionalen Verhaltensweisen, die in den Untersuchungen aufgeführt sind, untergliedern sich in folgende Punkte: Soziales Verhalten: isoliert, wie in eigener Welt lebend, distanzlos-freundlich zu Fremden, ungewöhnlicher Blickkontakt, ungewöhnliche Mimik und Gestik, Schwierigkeiten beim Ausdrücken von Gefühlen, Körperliche Aktivität: überaktiv/ zappelig, ständig in Bewegung, oft sehr passiv, kann sich nur kurze Zeit selbst beschäftigen Unübliche Bewegungen und Interessen: Arme umherschleudern, hin- und herrennen, besondere Beziehung zu Objekten, feste Gewohnheiten, Erregung bei Veränderung Ängstlichkeit und Stimmung: oft übermäßig glücklich, sehr unglücklich, sehr ängstlich, rasche Stimmungsschwankungen Selbstverletzendes und aggressives Verhalten: beißen, kratzen, Kopfschlagen u. ä. , körperliche Angriffe auf andere Kinder, zerstörerisch ohne „ersichtlichen“ Grund – Die Hintergründe von recht häufig auftretenden Autoaggressionen sind noch unklar. Vermutet wird jedoch, dass sie in einigen Fällen Ausdruck körperlicher Schmerzen und Missbehagens sind. In anderen Fällen sind sie durch Überforderung und Reizüberflutung bedingt. Eine sorgfältige Analyse der Bedingungen und kommunikativen Funktionen der schwierigen Verhaltensweisen ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Intervention. Die Befragung der Eltern von Kindern mit CdLS ergab wie erwartet, dass sie sich selbst als stark belastet beschreiben. Das gilt besonders für die unmittelbare Interaktion mit dem Kind. Es ist schwer für sie, die schwierigen, fordernden Verhaltensweisen und die z.T. geringe Anpassungsfähigkeit der Kinder anzunehmen sowie auszuhalten, dass sie von ihnen wenig positiv verstärkende Rückmeldung erhalten. Sie fühlen sich unsicher in ihrer erzieherischen Kompetenz. Die psychische Belastung der Eltern durch Depressivität, Bindungsprobleme zum Kind, Einschränkungen der Lebensgestaltung und körperliche Beschwerden ist oft hoch. Trotzdem bestätigte der Großteil der befragten Elternpaare den Wunsch, ihr Kind zuhause großzuziehen und nicht durch Fremde in einem Heim pflegen zu lassen.