Mitleid

Gemeint ist das Mitleiden oder die Anteilnahme mit/an einem (in der Regel direkt oder durch Medienpublikation scheinbar nahe stehenden) Leidenden, ohne dass man selbst vom Leid direkt betroffen ist. Mitleid wird oft als die Voraussetzung für menschliches Handeln empfunden, aber auch als Tatmotiv für kriminelle Handlungen bis hin zum Mord angegeben. Voraussetzung für das Gefühl ist, dass es einem selbst besser geht, als dem Leidenden und man sich vorstellen kann, dass einen das selbe Leid ereilt. Mitleid setzt Einfühlungsvermögen voraus, allerdings führt Einfühlungsvermögen nicht zwangsläufig zu Mitleid. Schmerz und Leid des Betroffenen werden als potentiell eigenes Leid empfunden. Im Gegensatz zum Mitgefühl ist nur eine Teilhabe am Leid des anderen gemeint. Physiologisch ist eine ähnliche Reaktion gemeint, wie bei eigenem Leiden an den selben Schmerzen oder Missständen. Dies setzt eine Überlegenheit gegenüber dem zu bemitleidenden Gegenüber voraus, was nicht unbedingt dessen Selbstwertgefühl hebt. Schopenhauer entwarf eine systematische positive Theorie des Mitleids. Seine Mitleidstheorie geht von der Annahme aus, dass Mitleid ein dem Menschen angeborener moralischer Trieb ist, der als solcher die Grundlage der Moral schlechthin bildet. Nicht Altruismus oder wahres Mitgefühl sind nach F. Nietzsche die Triebfedern des Mitleids, sondern, verborgen zwar und oft unbewusst, Egoismus und Machtgier. Der Anblick des Schwachen lässt uns eigene Schwächen besser ertragen, der Mitleidende braucht und sucht das Leid, um an ihm partizipierend sich und der Welt zu zeigen: Seht her, welch ein guter Mensch bin ich! Mitleid, ohne die zumindest subjektiv gefühlte Chance, helfen zu können, wird als quälend und belastend empfunden. Dauert dieser Zustand an, so führt er entweder zur Abstumpfung beim Anblick des Leids oder zum Hass auf diesen Anblick, eben weil er uns so hilflos macht. Viele Menschen scheuen den Krankenbesuch eben aus diesem Grunde. Sie wissen nicht, wie man die entstehenden inneren Spannungen, die das Mitleid in uns erzeugt, umsetzen kann in tätige Hilfe. Leidende sollten deshalb den mitleidenden die Hilfestellung durch Hinweise auf die Hilfsmöglichkeiten erleichtern. Kinder haben es dabei besonders schwer, weil die Erwachsenen alle Pflege- und Hilfsverrichtungen für den Kranken selbst übernehmen und damit die handelnde und tätige Rolle okkupieren. Das Kind wird aus falsch verstandener Sorge in die Rolle quälender Passivität gedrängt. Für ärztliche Ethik ist die Fähigkeit zum Mitleid eine wesentliche Voraussetzung, die Möglichkeit sich hiervon auch distanzieren zu können ermöglicht in vielen Situationen erst ärztliches Handeln. Eine moralische Wertung des des Mitleidempfindens bleibt also subjektiv und abhängig von der Situation. Mitleid wird von den Leidenden nicht unbedingt positiv erlebt, es degradiert sie auch potentiell zu unterlegenen Almosenempfängern. Nicht unbegründet ist der Spruch: „Mitleid bekommt gibt es umsonst, Neid muss man sich verdienen“, Mitleid ist bei Leidenden nicht unbedingt erwünscht oder hilfreich.

 

Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur