Eine Form der pathologischen Lüge bezeichnet man auch als Pseudologia phantastica, ohne dass es eine exakte Abgrenzung gibt. Der Begriff wurde vom Schweizer Psychiater Anton Delbrück 1891 mit seiner Arbeit „Die pathologische Lüge und die psychisch abnormen Schwindler. Eine Untersuchung über den allmählichen Übergang eines normalen psychologischen Vorgangs in ein pathologisches Symptom. Stuttgart: Enke 1891.“ geprägt.
Definition: Unter eine Pseudologia phantastica versteht man, meist, dass jemand (1) Geschichten erzählt, die hochgradig unwahrscheinlich sind, und die oft auf eine Matrix von wahren Begebenheiten aufgebaut werden (2) die Geschichten werden beständig erzählt, (3) die (Lügen-) Geschichten werden nicht überwiegend erzählt um einen persönlichen Profit zu erzielen und sie haben eine Eigendynamik die sich immer weiter hochschaukelt, und (4) die Geschichten entsprechen keinen Wahnwahrnehmungen oder Halluzinationen, was bedeutet, dass die Person wenn sie mit der Wahrheit oder den Fakten konfrontiert wird, erkennen kann, dass ihre Aussagen falsch waren. Der Begriff ist daher eindeutig von psychotischen Störungen abzugrenzen. Die betroffenen Mytohmanen haben sich oft soweit in ihr Lügengebäude hineingesteigert, dass sie zeitweise selbst ihre selbst geschaffene Fantasie für eine Wirklichkeit halten .
Bei der Pseudologia phantastica kommt es beim Betroffenen zu einem Verschmelzen von Phantasie und Wirklichkeit in einer solch intensiven Art und Weise, dass der Tagträumer selbst oft nicht mehr zu unterscheiden kann, was Realität und was Fiktion ist. Dieser Zustand kann vorübergehender Natur sein, er kann sich jedoch verfestigen und über längere Zeiträume das Denken beherrschen. Eine Eigentümlichkeit pseudologischer Zustandsbilder ist, dass eine übernommene Rolle nicht nur die Phantasie ausfüllt, sondern dass sie aufgrund ihrer Lebendigkeit und subjektiven Präsenz auch in die Realität übergreifen kann. Bei der Pseudologia phantastica wird immer Aufmerksamkeit gesucht, es geht um dramatische Selbstdarstellungen, gesteigertes Geltungsbedürfnis, eine Vorliebe zur Einnahme der Rolle anderer, vor allem sensationeller Persönlichkeiten, übertriebene Darstellungen oft auch der eigenen Rolle in einem Ablauf. Die Betroffenen geben sich oft falsche Biographien. Es geht darum sich dramatisch vor faszinierten Publikum in Szene zu setzen und große Aufmerksamkeit zu erreichen. Diese Symptome kommen auch bei dem hervorstehenden Merkmal der Befriedigung eines gesteigerten Geltungsbedürfnisses bei vorhandener großer Überzeugungskraft besonders bei histrionischen und narzisstischen Persönlichkeiten vor. Oft geht es um eine Kompensation von empfundenem realem Versagen. Menschen mit einer Pseudologia phantastica brauchen ein dankbares Publikum. Sie benötigen ein gutes Gedächtnis und schauspielerische Fertigkeiten um ihre Rolle glaubhaft auszufüllen.
Manchmal erklären erkennbare Motive das Lügen nicht, oder die Personen lügen fast ständig ohne ausreichend nachvollziehbaren Grund. Dies kann bei manchen Menschen zur Gewohnheit werden. Im Extremfall sind die Betroffenen so mit den Lügen beschäftigt, dass sie ihre Unwahrheiten selbst glauben. Lügen und Simulieren kann der wichtigste Lebensinhalt werden. Pathologisches Lügen als Pseudologia phantastica kann beispielsweise ein Symptom des Münchhausen Syndroms sein.
Obwohl Menschen mit einer Pseudologia phantastica über oft überdurchschnittliche verbale Fähigkeiten verfügen, bzw. häufig wortgewandt sind, haben doch überdurchschnittlich viele von ihnen neurologische Auffälligkeiten oder diskrete Hirnschädigungen. Es finden sich aber auch Kriminelle mit diesem Syndrom, Der Kultgründer und Massenmörder Aum Shinrikyo soll an einer Pseudologia phantastica leiden (siehe z.B. Akimoto H. 2006) auch andere Beispiele von Gurus mit diesem Syndrom werden berichtet, zahlreiche Hochstapler zeigen ein solches Syndrom. Unter den Hochstaplern gab es auch schon mehrfach „falsche Ärzte“, die lange erfolgreich „praktizierten“, der angebliche „Dr. med. Dr. phil. Clemens Bartholdy , Dr. Postel, Dr. Norbert Walther Dr. Rössl oder Dr. Frank„. Das milde Urteil von „Dr. Postel“ begründete das Gericht damit, dass es ihm die Gesundheitsbehörden so leicht gemacht hätten und er keinen Schaden angerichtet habe. Auch diese Fälle zeigen bei genauem Hinsehen, dass ein williges Publikum, das nicht genau hinsieht, Bedingung für den Erfolg ist. Nicht selten werden Hochstapler als „sympathisch“ empfunden. Heinrich Heine soll in seiner Kindheit eine Episode einer Pseudologia phantastica durchlebt haben, seine Beschäftigung mit den Tagebüchern seines verstorbenen Großonkels soll so intensiv gewesen sein, dass er sich fast ein Jahr lang völlig mit diesem identifizierte. Auslösend sollen Erniedrigungen und Hänseleien durch Schulfreunde gewesen sein. Wilkes und Albert Nervenarzt 1998 · 69:437–439 Gert Postels ungemein vergnügliche Geständnisse
Quellen / Literatur:
Literatur siehe unter Lüge, Simulation Münchhausen Syndrom