Schuldgefühle, Scham, Stolz, Soziale Angst und Peinlichkeit sind Emotionen, die weniger dem direkten Schutz des Selbst der Person dienen, als dass diese Emotionen den Sinn und Zweck darin haben, die soziale Integration und das soziale Zugehörigkeitsgefühl der Person zu schützen. Diese Emotionen folgen tatsächlichen oder vorgestellten Ereignissen, in denen sich das Individuum von anderen oder einer Gruppe beurteilt fühlt oder beurteilt wird. Diese Emotionen dienen damit der Integration von Menschen in Gruppen und der Pflege sozialer Beziehungen. Schuldgefühle können für diesen Zweck angemessen oder zu gering bzw. zu stark ausgeprägt sein. Dies kann im Rahmen einer psychischen Störung der Fall sein. Beispielsweise können bei einer Depression die Schuldgefühle übertrieben sein, bei einer dissozialen Persönlichkeit inadäquat vermindert. Die Angemessenheit von Schuldgefühlen ist abhängig von der Bezugsgrupppe, dem Individuum und dessen Wertvorstellungen und der Situation. Schuldgefühle sind notwendige Mechanismen für das menschliche Zusammenleben. Schuldgefühle werden wie Schamgefühle auf interne Ursachen attribuiert, aber im Gegensatz zu letzteren betreffen sie nicht globale, sondern spezifische Merkmale der Person. Schuldgefühle resultieren aus wahrgenommenem eigenen Vergehen und beziehen sich typischerweise auf Verhalten bzw. auf unterlassenes Verhalten. Schuldig fühlen sich Menschen, wenn sie eine Regel oder Norm verletzt haben. Im nonverbalen Ausdruck vermischen sich Zeichen von Kummer, Sorge, Angst und Unterwerfung. Damit signalisieren Schuldgefühle auch die Unterordnung unter die Regeln und Normen einer sozialen Gemeinschaft und drücken die Absicht aus, den verursachten Schaden zu reparieren. Schuldgefühle motivieren zur Wiedergutmachung eines selbstattribuierten Vergehens und zur Wiederherstellung einer als gefährdet erlebten Beziehung . Reue, Wiedergutmachung, Sühne, Buße und Strafe sind häufig im religiösen Rahmen ritualisiert. Ein Schuldgefühl signalisiert eine tatsächliche oder vermeintliche Verletzung und Vernachlässigung der Rechte und Bedürfnisse des anderen, des sozialen Objektes. Intrapsychisch betrachtet bedeutet dies: Schuldgefühl taucht bei tatsächlicher oder vermeintlicher Verletzung bzw. Vernachlässigung prosozialer, „Pro- Objekt“ Tendenzen auf. Letztere stammen entweder aus stammesgeschichtlichen, schon bei Tieren nachweisbaren „altruistischen“ Tendenzen und/oder aus dem Über- Ich im engeren Sinne, das heißt aus der Summe der internalisierten Gebote und Verbote der Eltern und der Gesellschaft. Diese Gebote und Verbote sind auch dort wo sie nicht (wie üblich) direkt den Interessen des Objektes dienen, doch als „Pro- Objekt“-Tendenzen zu verstehen, weil sie dem Objekt zuliebe oder aus Angst vor dem Objekt internalisiert wurden. Dritte Möglichkeit der Entstehung oft (hyper-) altruistischer Haltungen wäre der Weg der charakterlichen Reaktionsbildung gegen aggressive und antisoziale Tendenzen. Auch dieser Weg kann angepasst verlaufen, wird aber eher konflikthaft. Das Über- Ich stellt also subjektiv den Vertreter der Objektinteressen im Menschen dar. Jeder Verstoß, jedes (durch Selbstbezogenheit, Egoismus, aber auch Autonomie- oder Autarkiestrebungen motivierte) Zuwiderhandeln gegen die prosozialen Tendenzen wird durch Schuldgefühle signalisiert. Dies zwingt zur Korrektur (der Phantasie oder der Handlung) oder zu einer Abwehr des Schuldgefühls durch Verdrängung, Verschiebung, Umdeutung der Realität usw. Dadurch wird vielfach Schuld dem anderen gegeben, so dass sich schließlich der Konflikt, rein pragmatisch gesehen, in dem konkreten Gegensatz manifestiert: „ die Schuld bei sich versus die Schuld bei dem anderen zu sehen“. Dies ist alltäglich und banal. Was analytisch interessiert, ist die unrealistische Entweder- Oder- bzw. einseitige Fixierung und Festlegung im Sinne einer konstanten Tendenz zur Schuldabweisung oder umgekehrt zu unterwürfiger und konstanter Schuldannahme. Im Gegensatz zum Schuldgefühl steht der Selbstwertkonflikt- die Überschneidung von Über- Ich und Ich- Ideal.
Quellen / Literatur:
siehe unter Scham Übersichtsartikel siehe Stotz-Ingenlath G, Frick E.Depressives Schulderleben: Symptomatologie und Diagnostik Schweiz Arch Neurol Psychiatr 2006;157:94–102.