Schuleintrittsalter

Lernerfolg und psychiatrische Erkrankungen. Wer zu den jüngsten in der Klasse zählt wird vom Lehrer benachteiligt und hat ein höheres Risiko für schlechte Schulleistungen und psychische Probleme, die möglicherweise bis ins Erwachsenenalter andauern. Der Geburtsmonat wirkt sich auch nach vielen älteren Studien auf die Schulleistungen aus. Strittig war immer wieder, ob einfach beispielsweise in der dunklen Jahreszeit Geborene benachteiligt sind, oder ob das Alter im Klassenverband entscheidend ist. Verschiedene Jahreszeiten für die Einschulung innerhalb des Vereinigten Königreiches boten hier die Basis für natürliche Vergleichsgruppen an, die in einer großen Untersuchung anhand der Daten von 10 438 britischen 5-15 Jährigen Klarheit brachte. Nach dieser neuen britischen Studie ist nun eindeutig, dass das Schuleintrittsalter im Vergleich zu den Klassenkameraden entscheidend ist. Während bei der Entwicklung der Kinder im Säuglingsalter und Kleinkindalter die Entwicklungsfortschritte noch in Tagen, Wochen und Monaten von Eltern, Kinderärzten und Erzieherinnen beobachtet werden, wird bei den Einschulung oft quasi wieder mit dem Tag Null begonnen. Kinder, die sich in der körperlichen und geistigen Entwicklung um bis zu ein Jahr unterscheiden, werden nun meist mit einer Messlatte gemessen. Die fehlende Berücksichtigung der altergemäßen biologisch bedingten Reife kann zu gravierenden Folgen für das einzelne Kind führen und trägt, nach Ansicht der Autoren der britischen Studie, erheblich zum Vorhandensein psychischer Störungen im Erwachsenenalter bei. Zu den Jüngsten in der Klasse zu gehören führt zu einer Benachteiligung bei der Bewertung der Schulleistungen und beim Fortkommen in der Schule. Lehrer berücksichtigen oft die Alterdifferenz in der Klasse nicht. Es wäre interessant in deutschen Schulen unter Vierklasslehrern zu überprüfen, wie viele Lehrer in dieser in unserem Schulsystem für den weiteren Werdegang in den meisten Bundesländern entscheidenden Klassestufe wissen, wie das Alter des einzelnen Schülers im Vergleich zu seinen Klassenkameraden ist. Die Unterschiede bleiben nach dieser, wie nach älteren Studien, bis zum Ende der Schulzeit bestehen. Bei der jetzigen Studie blieb dieser Unterschied noch bei den 15 Jährigen bestehen, nach einer anderen Studie hatten auch die 18 Jährigen noch unter diesem Effekt der schulischen Benachteiligung zu leiden. Erst am Ende eines Universitätsstudiums kehrt sich dieser Effekt um, die Jüngeren haben jetzt bessere Leistungen. Dass die Studie auch vermehrte psychische Probleme bei den so benachteiligten Kindern feststellt, ist nicht verwunderlich. Der Geburtsmonat wird in vielen Studien für eine erhöhte Wahrscheinlichkeit auch für schwere psychiatrische Erkrankungen angesehen. Man vermutet beispielsweise, dass virale Erkrankungen der Mütter bei den in den Wintermonaten geborenen mitverantwortlich für die spätere Entstehung von schizophrenen Psychosen sein könnten. Nach der jetzigen Studie und großen früheren Vergleichsstudien wird zu überprüfen sein, in wie weit das relative Alter in der Schulklasse mitverantwortlich für diesen Effekt ist. Die Autoren der Studie berücksichtigen in ihren Schlussfolgerungen hauptsächlich die Auswirkungen der Ignoranz der Lehrer. Auch dies könnte zu kurz gegriffen sein. Jüngere, in ihrer Entwicklung noch weiter zurückliegende Kinder haben auch im Klassenverband oft Probleme sich durchzusetzen. Abwertungen durch Mitschüler dürften ähnlich negative Effekte auf das Selbstwertgefühl und die tatsächlichen Leistungen haben. Dies könnte neben der früher im Bildungsverlauf nachlassenden Lernfähigkeit der älteren in der Klasse auch erklären, warum sich der Effekt am Ende eines Universitätsstudium umzukehren scheint. Ein Neubeginn in einer neuen Gruppe gibt hier möglicherweise die Möglichkeit sich eine neue Position zu erarbeiten. Die Lösung Kinder deshalb später einzuschulen dürfte dennoch falsch sein. Ein späteres Ende der in unserer Gesellschaft (zu) langen Ausbildungszeiten lässt diese in ein Alter fallen, in dem die Lernfähigkeit bereits wieder deutlich nachlässt. Je später das Ausbildungsende, um so schwieriger wird es auch wieder selbst Nachwuchs zu zeugen.

 

Quellen / Literatur:

Robert Goodman, Julia Gledhill, and Tamsin Ford, Child psychiatric disorder and relative age within school year: cross sectional survey of large population sample, BMJ 2003; 327: 472. [Abstract] [Full text] [PDF]

Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur