Serotoninsyndrom

Das Serotoninsyndrom ist eine oft verkannte aber seltene Nebenwirkung der Antidepessivabehandlung die nicht mit Symptomen der Erkrankung verwechselt werden darf. Durch eine Erhöhung des Neurotransmitters Serotonin im ZNS kann es zu zum Teil schwerwiegende Störungen kommen: Diese bestehen in:

  • psychischen Symptomen (vor allem Unruhe, Verwirrtheit, inadäquate Stimmung, Hypomanie, Hyperaktivität,),
  • vegetativ-autonomen Dysfunktionen (Übelkeit, Diarrhoe, Schweißausbrüche, Frieren, Flush, Tremor, Blutdruckschwankungen, Tachykardie, Hyperthermie, Mydriasis,)
  • motorischen Störungen vor allem Ataxie, Myoklonien (spontan/provozierbar/okulär), Hyperreflexie (meist die Beine und symmetrisch), Tremor, gesteigerter Muskeltonus.

Das Serotoninsyndrom kommt unter allen SSRI und auch unter Venlafaxin (Trevilor®) vor allem in Kombination mit MAO-Hemmern (z. B. Tranylcypromin, Moclobemid), trizyklischen Antidepressiva (z. B. Amitriptylin, Imipramin, Clomipramin und Trazodon),• anderen psychoaktiven Substanzen (z. B. Buspiron, L-Tryptophan, Lithium-Salzen, Johanniskraut), Opioiden (z. B. Dextromethorphan, Tramadol, Pethidin) oder • Migränemitteln (z. B. Dihydroergotamin, Sumatriptan) Amphetaminen und Appetitzüglern, Drogen wie LSD vor. Die Unterscheidung zu malignen Neuroleptischen Syndromen oder Symptomen Entzug von Parkinsonmedikamenten bei Parkinsonkranken ist strittig, vermutlich aber sinnvoll. Manche Autoren halten es aber für sinnvoller von Hyperthermie Syndromen in der Psychiatrie zu sprechen (unter Einschluss des Serotoninsyndroms) Advances in Psychiatric Treatment (2009) 15: 181-191.

Medikamente und Mechanismus der vermehrten Verfügbarkeit von Serotonin – besondere Gefahr des Serotoninsyndroms
Mechanismus Medikamente
Vermehrte Verfügbarkeit von Serotoninvorläufern L-Tryptophan
Vermehrte Freisetzung von Serotonin an der Synapse Amphetamin, Kokain, MDMA (‘‘Ecstasy’’), Fenfluramin, Reserpin, Tetrabenazin, Levodopa, Dextromethorphan, Meperidine, Opioidanalgetika
Serotoninwiederaufnahme- Hemmer Johanniskraut, bestimmte Antidepressiva*, Meperidin, Dextromethorphan, Tramadol
Verminderter Abbau von Serotonin MAO-Hemmer, Selegelin
Post-synaptische Serotoninrezeptoragonisten Buspiron, 5-HT1 Agonisten (Triptane), Lithium, Carbamazepin
*Besonders bei Kombination der SSRI Paroxetin, Clomipramin, Sertralin, Fluoxetin, Venlafaxin, Dothiepin, Fluvoxamin, Imipramin, Citalopram, kann aber auch bei anderen Kombinationen von SSRI mit Antidepressiva Probleme bereiten
Modifiziert nach KARL J. LOOPER, M.D.Potential Medical and Surgical Complications of Serotonergic Antidepressant Medications Psychosomatics 2007; 48:1–9

Das Serotoninsyndrom entwickelt sich typischerweise innerhalb kurzer Zeit nach der ersten Gabe oder nach Dosiserhöhung oder nach Hinzufügen einer weiteren entsprechenden Substanz. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch nach Absetzen solcher Substanzen im Falle langer Halbwertszeiten (wie bei Fluoxetin) oder wirksamer Metaboliten noch über längere Zeit kritische Plasmakonzentrationen bestehen können. Pathogenetisch spielen dabei neben der pharmakodynamischen Wechselwirkung wahrscheinlich zusätzlich pharmakokinetische Interaktionen (verminderter Abbau des Serotonins durch die Leber) eine Rolle, sowie außerdem Konsum von Alkohol oder Kokain. Im klinischen Verlauf kommt es manchmal lediglich zu einer diskreten Verhaltensänderung in Form von Verwirrtheit, Hypomanie, Unruhe, Agitiertheit (die leicht als Verschlechterung der psychischen Grundstörung interpretiert werden kann). Muskelrigidität und Temperaturerhöhung über 38° zeigen eine ernste Situation an. Sehr selten kommt es zum Vollbild des Serotonin-Syndroms mit unter Umständen sehr schwerwiegenden, potentiell lebensbedrohlichen Komplikationen in Form von ausgeprägter Hyperthermie (>41 °C), epileptischen Anfällen, respiratorischer Insuffizienz, disseminierter intravasaler Gerinnung (DICH), Rhabdomyolyse mit Leber-, Nieren- und Multiorganversagen.

Sternbach Kriterien des Serotoninsyndroms:

  1. Geistig, psychische Symptome
    Hauptsymptome: Verwirrtheit, Euphorie, Koma
    Nebensymptome: Agitation, Nervosität und Schlaflosigkeit
  2. Autonome symptome
    Hauptsymptome:: Fieber, Schweißausbrüche
    Nebensymptome: Tachykardie, Tachypnoe (schneller Atem), Dyspnoe (Atemnot), Diarrhoe (Durchfalll), niedriger Blutdruck, hoher Blutdruck oder Blutdruckschwankungen.
  3. Neurologische Symptome
    Hauptsymptome:: Myoklonus, Tremor, Schüttelfrost, Rigor, Hyperreflexie
    Nebensymptome:: Koordinationsstörung, Mydriasis (weite Pupillen), Akathisie (Bewegungsunruhe mit Unfähigkeit zu sitzen)

Nach einer Analyse von 473 Patienten mit einer Überdosis von Selektiven Serotonin reuptake Hemmern (SSRI) reicht für die Diagnose des Serotoninsyndroms ein Klonus (induzierbar, spontan oder okulär), Agitation, Schweißausbrüche, Tremor, Hypertonus, Temperaturerhöhung und Hyperreflexie als Leitsymptome aus. (Hunter Serotonin Toxicity Criteria) Sensitivität 84% und Spezifität 97%.

Differentialdiagnostisch ist vor allem das Maligne Neuroleptika induzierte Syndrom
(MNS) abzugrenzen. Im Unterschied zum Serotoninsyndrom manifestiert sich das maligne neuroleptische Syndrom als akinetisch stuporöses Zustandsbild mit Hyporeflexie. Eine CK-Erhöhung tritt in fast allen Fällen des MNS auf, während diese beim Serotoninsyndrom eher seltener zu finden ist. Als weitere Differentialdiagnosen kommen die maligne Hyperthermie, die perniziöse Katatonie, Tetanus, Enzephalitis-Formen sowie verschiedene Intoxikationen (wie Anticholinergika Amphetamine, Kokain, Lithium, MAOIs, Salizylate und Strychnin). in Frage; meist klärt sich jedoch die Diagnose durch anamnestische Angaben. Auch die Verwechslung mit einem Fibromyalgie- Syndrom ist beschrieben worden.

Behandlung: Tritt das Syndrom auf, bewirkt sofortiges Absetzen aller serotonergen Arzneimittel meist Besserung innerhalb von 6 bis 12 Stunden. Bei langer Halbwertszeit gibt es aber auch Syndrome die länger als 24 h dauern. Symptomatische Maßnahmen – insbesondere bei hohem Fieber – können jedoch erforderlich werden. Die Therapie des Serotonin-Syndroms erfolgt durch sofortiges Absetzen aller serotoninergen Substanzen, was in der Regel zu raschem Abklingen der Symptomatik innerhalb von 6 bis 12 Stunden führt. Die Behandlung sollte unter stationären Bedingungen, bei Hyperreflexie und Myoklonien mit Benzodiazepinen, bei Hyperthermie mit fiebesenkenden Mitteln, Kühldecke oder Ventilator erfolgen. Schwere Fälle benötigen eine Behandlung auf der Intensivstation wegen der Hyperthermie, manchmal einer Rhabdomyolyse, einer Verbrauchskoagulopathie und/oder einem akuten Atemnotsyndrom. Das Erkennen des Syndroms und der ursächlichen Medikamente kann lebensrettend sein. Im Krankenhaus erfolgt eine Flüssigkeitszufuhr um die Nierenfunktion zu sichern. Temperatur, Puls, Blutdruck, Urinausscheidung müssen dann überwacht werden. Gegen die Hyperthermie wird gekühlt. Benzodiazepine können notwendig sein um Anfälle zu unterdrücken. Nichtspezifische 5-HT1-und 5-HT2-Antagonisten wie Methysergid oder Cyproheptadin wurden zum Teil klinisch erfolgreich zur medikamentösen Therapie eines Serotonin-Syndroms eingesetzt. Cyproheptadin soll in einer Dosis von 4-8 mg alle 2 Stunden helfen, wenn nach 16mg kein Effekt eintritt sollte die Gabe eingestellt werden, sonst können bis zu 32 mg/Tag gegeben werden. (Michael Hall 2003) Bei schweren Komplikationen, wie starker Hyperthermie, sind zur Verhinderung einer Rhabdomyolyse oder DIC eine muskuläre Paralyse sowie aggressive Maßnahmen zur Kühlung erforderlich. Eine endotracheale Intubation kann notwendig sein.

Wenig berücksichtigt wird, dass auch opioidartig wirkende Schmerzmittel das Serotonin- Syndrom verursachen können. In Fachinformationen fehlen dort Hinweise auf das Serotoninsyndrom als Nebenwirkung. Wegen der Gefahr epileptischer Anfälle ist der gleichzeitige Gebrauch von selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern, trizyklischen Antidepressiva, Neuroleptika, opiatähnlicher Schmerzmittel und Johanniskraut bedenklich und sollte zumindest zu einer EEG- Kontrolle führen. Die parallele Behandlung mit Monoaminoxidase-Hemmern ist kontraindiziert.

Medikamente die mit dem Serotoninsyndrom in Verbindung gebracht werden: Selektive Serotonin-reuptake Hemmer: Sertralin, Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin, und Citalopram, andere Antidepressiva: Trazodon, Nefazodon, Buspiron, Clomipramin, und Venlafaxin, Monoaminooxidasehemmer: Phenelzin, Moclobemid, Clorgilin, und Isocarboxazid. Antikonvulsiva: Valproat. Schmerzmittel: Meperidin, Fentanyl, Pethidin, Tramadol, Dextromethorphan und Pentazocin. Im Gegensatz dazu sind Morphin, Codein, Oxycodon und Buprenorphin nach der Literatur weniger gefährlich. Antiemetika: Ondansetron, Granisetron, und Metoclopramid. Antimigränemittel; Sumatriptan. Antibiotika: Linezolide (ein Monoaminooxidasehemmer) und Ritonavir. Frei verkäufliche Grippemittel: Dextromethorphan. Drogen: Methylenedioxymethamphetamin (MDMA, oder “ecstasy”), LSD, 5-Methoxydiisopropyltryptamin und andere, Pflanzliche Produkte: Tryptophan, Johanniskraut, Ginseng Andere: Lithium Die Inzidenzraten waren dort wo angegeben ähnlich bei Fluoxetin (0,5), Paroxetin (0,9), Sertralin (0,6), Venlafaxin (0,9) und vergleichbar auch bei Moclobemid (0,5)

FAZIT: Wenn möglich sollte man die Kombination mehrerer serotoninerger Substanzen vermeiden, besondere Vorsicht besteht bei der Behandlung therapieresistenten Depressionen, die meist in Kombinationsbehandlung erfolgt. Auch Kombinationen von Valproat, Triptanen, starken Schmerzmitteln oder Drogen mit modernen Antidepressiva beinhalten das Risiko eines Serotoninsyndroms. Wichtig ist es ein solches zu erkennen und die Medikamente abzusetzen bzw. eine entsprechende Behandlung einzuleiten.

 

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Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

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