Somatosensorische Verstärkung

Mit diesem Begriff wird ein Phänomen beschrieben, das zunächst bei hypochondrischen Patienten beobachtet wurde und durch ein Fokussieren der Aufmerksamkeit auf körperliche Vorgänge und Empfindungen gekennzeichnet ist, wobei eine ausgeprägte Tendenz besteht, vor allem unangenehme Körpersensationen („Missempfindungen“) zu beachten und diese als gefährlich und als ein Hinweiszeichen für eine körperliche Erkrankung und nicht als eine normale physiologische Reaktion zu interpretieren. Die Fehlinterpretation und Überbewertung körperlicher Missempfindungen hat zur Folge, dass die Aufmerksamkeit noch stärker auf körperliche Vorgänge fokussiert wird, was wiederum zu einer Verstärkung der wahrgenommenen Intensität der körperlichen Empfindungen führt. Es kommt somit zu einer gegenseitigen Aufschaukelung von krankheitsbezogenen Ängsten und Befürchtungen, dysfunktionalen Bewertungsprozessen und einer selektiven Aufmerksamkeitslenkung auf körperliche Missempfindungen. Die selektive Aufmerksamkeitslenkung auf körperliche Missempfindungen und deren Fehlinterpretation im Sinne einer gesundheitlichen Bedrohung führt zu einer übermäßig starken Beschäftigung mit dem eigenen Körper („Checking“ des Körpers) und zu verstärkten Krankheitsängsten und Krankheitsbefürchtungen. Verbunden damit ist dann zumeist eine verstärkte Inanspruchnahme medizinischer Hilfe, wobei die konsultierten Ärzte in der Regel häufiger gewechselt werden („Doktor-Shopping“). Wenn der Somatisierungsvorgang nicht erkannt oder verstanden wird, können zahlreiche, unnötige Abklärungen und inadäquate Behandlungen eines Patienten eingeleitet werden. Da die eingeleiteten Abklärungen in der Regel ergebnislos bleiben bzw. für das Verständnis der Beschwerden unzureichende Befunde liefern, werden der Patient und der Behandler frustriert mit möglicher, nachfolgender Iatrogenisierung,

 

Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur