Soziale Unterstützung

Helfende und sozial unterstützende Menschen sind beliebter als andere. Schon Säuglinge zwischen 6 und 10 Monaten lernen nach modernen Studien Menschen danach zu unterscheiden, ob sie anderen helfen, diese behindern oder sich diesbezüglich neutral verhalten. Wie zu erwarten bevorzugen sie helfende Individuen. Nature 450, 557-559 (22 November 2007) | doi:10.1038/nature06288Innerhalb der Copingforschung kommt insbesondere aus sozialpsychologischem Blickwinkel dem Thema soziale Unterstützung eine zentrale Rolle zu. Unter social support versteht man nach Cobb (1976) „die Information durch andere, geliebt und versorgt, geachtet und geschätzt sowie Teil eines Netzwerkes zu sein, in dem miteinander kommuniziert wird und in dem man sich gegenseitig unterstützt“. Soziale Unterstützung kann von Lebenspartnern, Freunden, Familienmitgliedern aber auch Vereins- und Organisationsmitgliedern (z.B. Arbeitskollegen) gegeben werden. Der Mangel an sozialer Unterstützung bzw. soziale Isolation ist nach einer Studie von House, Landis und Umberson (1988) ebenso gefährlich wie regelmäßiges Rauchen. Allgemein wird davon ausgegangen, dass soziale Unterstützung zu einem besseren Zustand der Gesundheit, selteneren Erkrankungen und höherer Lebenserwartung führt. Die Forschung im Bereich der sozialen Unterstützung geht von der These aus, dass es einen (positiven) Zusammenhang zwischen Umfang und Qualität sozialer Bindungen und Krankheitsprozessen gibt. Der Einfluss von sozialer Unterstützung auf gesundheitsförderndes Verhalten ist evident und in zahlreichen Studien empirisch belegt. Die Wahrscheinlichkeit für Gesundheitsgefährdende Verhaltensweisen in belastenden Lebenssituationen ist bei den Personen größer, die keine oder nur geringe soziale Unterstützung erfahren. Insbesondere die soziale Kontrolle, die von einem intakten sozialen Umfeld ausgeht, sorgt als Vermittlungsinstanz dafür, dass Gesundheitsgefährdendes Verhalten (z.B. Rauchen, übermäßiger Alkoholgenus, Drogen, etc.) vermieden wird. Neben dem Einfluss von sozialer Kontrolle wird in der Literatur über social support und Gesundheit auch auf „Selbstachtung“ als vermittelnder Variable zwischen sozialer Unterstützung, psychischem Wohlbefinden und Gesundheit hingewiesen (Stroebe & Stroebe, 1995). Man geht gemeinhin davon aus, dass die Einbettung in ein intaktes soziales Umfeld (Netzwerk) einen positiven Einfluss auf das Selbstwertgefühl hat. Dies wiederum führt zu einem Gefühl von „psychischem Wohlbefinden“, was sich seinerseits gesundheitsfördernd auswirkt.

Nach House (1981) kann soziale Unterstützung vier verschiedene Ausprägungen annehmen:

  1. Emotionale Unterstützung (Liebe, Zuneigung, Vertrauen, Zuspruch,…)
  2. Instrumentelle Unterstützung (Konkrete Hilfen wie finanzielle Unterstützung, Übernahme von Haushaltstätigkeiten, o.ä.)
  3. Informative Unterstützung (Informationen, die helfen, ein Problem in den Griff zu bekommen)
  4. Bewertende Unterstützung (Bewertungen, die Personen Wertschätzung, Anerkennung o.ä. entgegenbringen)

Neben den Dimensionen sozialer Unterstützung, wie sie von House vorgeschlagen werden, gibt es einige andere Formen, das Konstrukt zu operationalisieren. Für die empirische Untersuchung von sozialer Unterstützung wurden verschiedene Meßmethoden entwickelt:

  • Interpersonal Support Evaluation (ISEL, Cohen et al., 1985)
  • Social Support Questionaire (SSQ, Sarason et al., 1983)
  • Inventory of Socially Supportive Behaviors (ISSB, Barrera et al., 1981)

Der Zusammenhang zwischen sozialer Unterstützung und einer positiven Wirkung auf die Gesundheit ist differenzierter zu betrachten, als es auf den ersten Blick scheint. Die einfachste Form, die vorstellbar ist, wäre ein direkter Effekt zwischen Ausmaß an sozialer Unterstützung und gesundheitlicher Situation. Beim direkten Effekt geht man von der Annahme aus, dass unabhängig von der Stärke des individuellen Streßempfindens die Einbettung in eine starke soziale Gemeinschaft und die damit verbundene soziale Unterstützung zu einem stärkeren Gefühl des Wohlbefindens beiträgt, was sich positiv auf die Gesundheit auswirkt. Das empirisch gut belegte Puffer-Modell von La Rocco et al. (1980) geht einen Schritt weiter als die Annahme eines direkten Effektes. Die Aussage, die von La Rocco und seinen Mitarbeitern getroffen wird, lässt sich bildhaft zusammenfassen. Soziale Unterstützung funktioniert demnach bei akuter Stressbelastung wie ein Puffer, der die Gesundheitsbedrohende Wirkung, die von Stress ausgeht, gleichsam abfedert. Damit sinkt die Erkrankungswahrscheinlichkeit von Personen mit großer sozialer Unterstützung gegenüber den Personen, die keine oder nur schwache soziale Unterstützung erfahren. Hohe Stressbelastung und ein hohes Maß an sozialer Unterstützung interagieren also in der Form, dass die ungünstigen Stressauswirkungen durch gute soziale Unterstützung stark abgefedert werden. Liegt jedoch nur eine geringe Stressbelastung vor, unterscheiden sich gering und stark unterstützte Personen in ihrer Krankheitsanfälligkeit kaum. Bereits 1972 haben Nuckolls et al. eine Untersuchung vorgenommen, bei der es um den Zusammenhang zwischen belastenden Lebensereignissen, sozialer Unterstützung und der Komplikationsrate bei Schwangerschaften ging. Die Ergebnisse unterstützen die These, die auch das „Puffer-Modell“ postuliert. Es wurde festgestellt, dass die Komplikationsrate bei Schwangerschaften weder durch belastende Lebensereignisse noch sozialer Unterstützung allein beeinflusst wurde. Eine signifikant niedrigere Komplikationsrate konnte hingegen bei stark belasteten Frauen nachgewiesen werden, denen gleichzeitig gute soziale Unterstützung zuteil wurde. Bei ihnen lag die Komplikationsrate um rund ein Drittel niedriger als bei stark belasteten Frauen ohne oder mit nur geringer sozialer Unterstützung. Im Hinblick auf die Wirksamkeit von sozialer Unterstützung weisen auch Gentry und Kobasa (1984) darauf hin, dass vor allem bei „intensivem chronischem Stress“ soziale Unterstützung einen starken Einfluss auf die Gesundheitssituation ausübt. Sie unterscheiden dabei zwischen „lebensbereichfremder“ und „lebensbereichinterner“ Unterstützung. So wirkt sich lebensbereichsfremde Unterstützung (beispielsweise familiäre Hilfe bei arbeitsbedingtem Stress) deutlich weniger stark aus, als lebensbereichsinterne (beispielsweise Unterstützung von Arbeitskollegen). Noch einen Schritt weiter gehen Holahan et al. (1997) in ihrem Befund. Sie treten der These entgegen, dass soziale Unterstützung per se einen positiven Einfluss auf die Gesundheit besitzt. In vielen Beziehungen gibt es neben sozialer Unterstützung auch soziale Stressoren (negative Support). Beides wirkt sich mit dem selben Mechanismus signifikant auf das Konstrukt des sozialen Kontextes aus. Negative Aspekte von sozialen Beziehungen wirken sich dabei genauso stark gesundheitsbelastend aus wie positive gesundheitsfördernd wirken. Empirisch wurde die Existenz negativer Einflüsse von sozialen Beziehungen auf die Gesundheit aufbauend auf den „Resources Model of Coping“ von Holahan und Moss (1994) in einer prospektiven Studie, die über den Zeitraum von vier Jahren 183 Herzpatienten beobachtete, untersucht. Sie gingen von den Hypothesen aus, dass der soziale Kontext (innerfamiliär und außerfamiliär), in dem sich Personen befinden, sowohl von unterstützenden Elementen (support) als auch von belastenden Elementen (social stressors) geprägt ist. Diese Konstellation würde eine Vorhersage auf die indirekte Folge depressiver Symptome zulassen. Mit Hilfe einer LISREL-Analyse wurden die Hypothesen in einem integrativen Modell getestet Die Untersuchung bestätigte die Ausgangshypothesen, dass die meisten sozialen Beziehungen gleichzeitig sowohl unterstützend als auch belastend wirken. Die negativen Aspekte von sozialen Bindungen beeinträchtigen dabei den Copingerfolg ebenso stark wie ihm positive Aspekte dienlich sind. Allerdings kamen Holahan et al. in ihrer Untersuchung auch zu dem Ergebnis, dass negative Komponenten sozialer Bindungen deutlich seltener berichtet wurden als positive. Soziale Unterstützung und soziale Stressoren unterliegen im Rahmen des Copingprozesses den selben Wirkungsmechanismen. In Abhängigkeit von sozialen Beziehungen und Geschlecht kommt Lepore (1992) zu der Aussage, dass soziale Bindungen von Frauen insgesamt eine weniger konfliktträchtige und damit stärker unterstützende Form besitzen als die von Männern. Weitere signifikante geschlechtsspezifische Unterschiede stellt er nicht fest.

 

Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur