1) Die akute Mortalität des Wernicke-Korsakow-Syndroms beträgt 20%. 2) Die orale Thiamingabe ist als unbedenklich einzuschätzen. 3) Das Risiko eines anaphylaktischen Schocks nach parenteraler Thiamingabe liegt unter 1 :100000. 4) Nicht nur Alkoholerkrankungen, sondern jeder Zustand von erhöhtem metabolischem Bedarf (z.B. Schwangerschaft, konsumierende Erkrankungen) bzw. von Mangel- und Unterernährung (z.B. Ess-Störungen) prädisponiert zum Thiaminmangel. Wir schlagen deshalb folgende Therapieleitlinien vor: 1) Jede Person, bei der das Risiko eines Thiaminmangels besteht, sollte großzügig oral mit wenigstens 50 mg Thiamin pro Tag behandelt werden bei zusätzlicher Gewährleistung einer ausreichenden Ernährung. 2) jede Person, bei der der Verdacht auf einen akuten Thiaminmangel besteht, sollte sofort einer geeigneten stationären Behandlung zugeführt werden. Dort sollte dann die intravenöse Thiaminsubstitution mit 50 bis 100 mg 3- bis 4-mal pro Tag erfolgen, bis eine ausreichende enterale Ernährung gesichert und damit die Umstellung auf eine orale Thiamingabe möglich ist. 3) Hausarzt, Psychiater und Neurologen fällt die wesentliche Aufgabe zu, einerseits die großzügige orale Thiaminsubstitution gegebenenfalls mit Organisation suffizienter Ernährung zu gewährleisten und andererseits Thiaminmangelerkrankungen schon im Prodromalstadium zu erkennen und die weitere Behandlung einzuleiten. Seit mehr als einem Jahrhundert ist das ,,Wernicke-Korsakow-Syndrom“ in Psychiatrie und Neurologie bekannt. Seine Häufigkeit wird anhand von Autopsiedaten mit zwischen 0,4 und 4,7% aller Autopsien angegeben. Im Zeitalter der internationalen Klassifikationssysteme ist die Wernicke-Enzephalopathie, klassischerweise charakterisiert durch eine Prodromalsymptomatik mit gastrointestinalen Beschwerden, Abgeschlagenheit, eventuell auch leichtem Fieber und Schwindel, gefolgt von nach wenigen Tagen akut einsetzender Ataxie, Nystagmus und Blickparesen.. Das Korsakow-Syndrom, charakterisiert durch eine Störung von Gedächtnis, Auffassung, Merkfähigkeit und Kritikminderung ohne spezifische andere neuropsychologische Defizite, wird in ICD-10 und DSM-IV nicht mehr erwähnt und ist zu kodieren unter ,,alkoholbedingter amnestischer Störung“ (ICD-10 F10.6 bzw. DSM-IV 291.1,Das Wernicke-Korsakow-Syndrom wird bezüglich seiner Genese in unmittelbaren Zusammenhang gebracht mit einem Mangel an Vitamin B, (Thiamin). Folglich wird eine Behandlung mit Thiaminpräparaten empfohlen. In welchem Krankheitsstadium allerdings, in welcher Dosierung, auf welchem. Es gibt eine humanexperimentelle Studie, in der 8 jungen gesunden Männern nach einer Kontrollphase von 9 Tagen ausgewogener Diät für 24 Tage nur Thiamin entzogen und für weitere 18 Tage wieder zugeführt wurde. Während 3 der 8 Probanden trotz laborchemisch nachweisbarer Thiamindefizienz völlig beschwerdefrei blieben, traten bei den übrigen 5 Probanden frühestens am 9. Tag der thiaminreduzierten Kost Beschwerden auf im Sinne von Abgeschlagenheit, Übelkeit, Erbrechen, Obstipation, Kopfschmerzen und in der körperlichen Untersuchung Ruhesinustachykardie, abgeschwächte Muskeleigenreflexe, verminderte Kraft bei Kniebeugen und verminderte Spitzstumpf-Diskrimination an den Extremitäten. Innerhalb von einer Woche unter thiaminhaltiger Kost remittierten die körperlichen Befunde, innerhalb von 2 – 3 Wochen verschwanden auch die geschilderten subjektiven Beschwerden. Die Studie weist darauf hin, dass experimenteller, isolierter Thiaminmangel allgemeine und neurologische sowie kardiologische Symptome hervorrufen kann, die gut passen zu dem Symptomenkomplex der Prodromalsymptomatik der Wernicke-Enzephalopathie, und die dem Beriberi und Polyneuropathien sehr ähnlich sind. Die Untersuchung zeigt auch, dass bei gesunden, ausreichend ausgewogen ernährten Probanden 1,6 mg Thiamin oral als Nahrungszusatz ausreichen, wieder normale Thiaminstoffwechselbedingungen herzustellen und die Beschwerden aufzuheben. Gesunde, ausgewogen ernährte Probanden resorbieren von einer oralen 10mg Thiamineinmaldosis 4,3 bis 5,6 mg enteral, was sich auch durch höhere orale Gaben nicht steigern lässt und auch noch über dem allgemein errechneten und akzeptierten täglichen Bedarfswert von 1,0 bis 2,0mg liegt. Die zerebrale Aufnahme von Thiamin über die Blut-Hirn-Schranke unterliegt beim Menschen sowohl einem aktiven Transportmechanismus mit Sättigung bei etwa 0,3 mg pro Stunde und Gramm Hirngewebe, als auch einem passiven Mechanismus im Sinne von Diffusion, die bei akuten Thiaminmangelzuständen von zentraler Bedeutung sein könnte . Die autoptisch-histologische Prävalenz der Wernicke-Enzephalopathie bei Alkoholkranken liegt bei 12,5% und zwischen 0,4 und 4,7% der Allgemeinbevölkerung . 27% der Alkoholkranken zeigten histologisch eine Kleinhirnatrophie und bei 34% bestand histologisch eine Wernicke-Enzephalopathie oder eine Kleinhirnatrophie. Allerdings bestand nur bei 10% der Alkoholkranken mit histologisch nachgewiesener Wernicke-Enzephalopathie auch klinisch die Symptomtrias aus Desorientiertheit. Augenmuskelparese und Ataxie, bei 23% bestand eine Ataxie, bei 29% bestanden Augenmuskelparesen und bei 82 % bestanden Desorientiertheit und kognitive Einbußen am ehesten im Sinne eines Korsakow-Syndroms. Nur bei 5 bis 20% der Alkoholkranken mit post-mortem nachgewiesenem Wernicke-Korsakow-Syndrom wird zu Lebzeiten auch diese Diagnose gestellt. Die Mortalität des Wernicke-Korsakow-Syndroms wird mit 17 bis 20% angegeben. Laborchemisch ist Thiaminmangel bei Alkoholkranken häufig nachzuweisen, nämlich anhand des Thiaminserumspiegels bei 20% bis 80% der Alkoholkranken und anhand des TPP-Effektes bei 20% bis 70% Als wahrscheinliche Ursachen hierfür kommen drei im folgenden näher dargestellte Mechanismen in Frage. Zum einen resorbieren Alkoholkranke enteral im Mittel nur 30% der Thiaminmenge, die Gesunde resorbieren; bei zusätzlichem Konsum von Alkohol versiegt die Resorption vollständig. Diese ließ sich auch tierexperimentell nachweisen Zum anderen kommt es, anders als bei Leberschädigung anderer Genese, bei alkoholbedingter Leberschädigung zu einer Verminderung der Transketolasesynthese mit normaler Aktivität im Sinne eines regulären TPP-Effektes mit jedoch reduzierter ETK, und reduziertem Thiaminserumspiegel. Dies könnte auch erklären, warum eine einwöchige orale Substitution mit 50 mg Thiamin pro Tag für 10 Tage bei 41 kürzlich entgifteten Alkoholabhängigen trotz regulärem TPP-Effektes nur zu marginalen Anstiegen von Serumthiamin und ETK,, führte. Bei Alkoholkranken mit der typischen alkoholbedingter Leberschädigung kann neu resorbiertes Thiamin weniger als bei Gesunden im Körper gebunden werden kann.
Quellen / Literatur:
Joachim Ortleb. Die Thiaminbehandlung in der Psychiatrie und Neurologie Fortschr Neurol Psychiat 2000; 68 113- 117GEORG THIEME VERLAG