Vulnerabilität

Begriffliche Überschneidungen bestehen mit den Begriffen „Disposition”, „Diathese”, „Verletzlichkeit” oder „Verletzbarkeit” und „Verwundbarkeit”. In einem sehr allgemeinen Definitionsansatz kann heute unter Vulnerabilität eine in der Person verankerte, genetisch, biochemisch oder auch durch Geburtstrauma bedingte Disposition, Anfälligkeit oder Sensibilität verstanden werden. Man versteht darunter eine passive „Empfänglichkeit” des Individuums für psychische Störungen betonen und in ätiologischer Hinsicht unter dem Paradigma der Reaktivität stehen. Vulnerabilität bedeutet eine Störung der Selbstregulationsfähigkeit des Organismus, die der Erkrankung ihren Manifestationsweg bahnt. So sind manche Körper mehr vulnerabel und daher zur Regulation weniger disponiert, dagegen andere widerstandsfähiger oder härter, die somit eine größere Regulationsfähigkeit, eine bessere „Heilkraft” besitzen. Verwendet wird der Begriff Vulnerabilität in verschiedenen Bereichen, wie zum Beispiel in der Psychophysiologie und der Sozialpsychologie. Im Verlauf der Sozialisation, entstehen neben dem Risiko für eine psychische Störung (Prädisposition), sowohl zusätzlich schädigende (vulnerabilisierende, wie negative Familienmuster, somatische Erkrankungen) als auch schützende (protektive) Faktoren. Dabei wird das Ergebnis der Wechselwirkungen als Vulnerabilität (Verletzlichkeit, Anfälligkeit) für psychische Störungen im Allgemeinen oder im Speziellen (für bestimmte Erkrankungen) verstanden. Die verwandten Begriffe „Disposition” und „Diathese” bezeichnen eine allgemeine Denkfigur, die auf jegliche Entwicklung ihre Anwendung finden kann. Schon in der antiken Philosophie wurde ihnen die Bedeutung von „Anlage” bzw. „Veranlagung” zugesprochen. Sie umfassen den Problembereich der Ätiologie und Pathogenese, wobei zu dem thematischen Bereich verwandte Begriffe wie Konstitution, Habitus (als morphologischer beziehungsweise gestalthafter Ausdruck), Reizbarkeit und auch Vulnerabilität gehören. Eine Disposition kann aber nicht empirisch erfasst, sondern nur aus ihren Wirkungen „a posteriori” erschlossen werden. Sie wird daher auch als eine „virtuelle und potenzielle Größe” bezeichnet, die als apriorische Bedingung des Werdens tatsächlicher Sachverhalte spekulativ vorausgesetzt wird. Die Verletzlichkeit eines Menschen beinhaltet im Gegensatz zum wertneutralen Dispositionsbegriff einen negativen Wertakzent, d. h. „die Vorstellung von etwas Unerwünschtem”. Seelische Verletzung bedeutet demnach eine erhöhte Gefährdung des Menschen, seelische Störungen zu erleiden. Im Alltagsumgang ist sie „irgendwie subjektiv erspürbar” bzw. als „Erlebnis-Sachverhalt” zu verstehen und somit als „Ausdrucks-Begriff” zu bestimmen. Danach sind einige Menschen durch bestimmte Verletzlichkeitsursachen verletzlicher als andere, wobei eine auf diese bestimmten Verletzlichkeitsursachen abgestimmte Disposition angenommen wird. Dies beinhaltet, dass die Merkmale von Verletzlichkeit nicht allein als Eigenschaften des verletzlichen Menschen, sondern nur gebunden an die Beziehung zwischen diesem und dem ihn verletzenden Agens bestimmt werden können. Beispiel: Eine Vielzahl an Untersuchungen zum Thema Kriminalitätsfurcht belegt, dass Frauen mehr Angst vor Kriminalität haben als Männer. Dieser Befund wird bislang überwiegend mit der so genannten ´Vulnerabilitätshypothese´ erklärt, welche besagt, dass sich Frauen verletzbarer fühlen als Männer, weil sie sich gegen mögliche Angreifer schlechter wehren können. Darüber hinaus wird häufig darauf verwiesen, dass Frauen – im Gegensatz zu Männern – sehr viel häufiger das Opfer von Sexualdelikten werden und dass die Furcht von Frauen vor Kriminalität wesentlich auf die Angst vor Vergewaltigungen zurückgeführt werden kann. Anhand der Ergebnisse einer Repräsentativbefragung von Bürgern einer westdeutschen Großstadt (N = 1661) sowie einer Untersuchung mit einer studentischen Stichprobe (N = 290) lässt sich jedoch zeigen, dass die höhere Kriminalitätsfurcht von Frauen (zumindest) nicht allein durch diese Faktoren erklärt wird: · So zeigen Frauen mehr Furcht vor bestimmten Straftaten bzw. haben größere Probleme, erlittene Viktimisierungen zu verarbeiten, auch wenn diese für sie objektiv nicht mit gravierenderen Folgen verbunden sind als für Männer (z.B. Diebstahl). · Frauen neigen in stärkerem Maße als Männer dazu, die Häufigkeit schwerer Straftaten (wie Mord und Totschlag) zu überschätzen. · Darüber hinaus überschätzen Frauen systematisch ihr eigenes Viktimimisierungsrisiko. So halten sie es für ebenso wahrscheinlich (oder sogar für wahrscheinlicher), Opfer einer bestimmten Straftat zu werden, obwohl das Viktimisierungsrisiko von Männern durchgehend höher ist als das von Frauen.

 

Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur