Boreout

Die Diagnose Boreout wird in manchen Veröffentlichungen analog zum Burnout-Syndrom bereits als neue Volkskrankheit angesehen. Ich möchte dazu allerdings auf die Ausführungen im Kapitel Krankheitserfindung verweisen und davor warnen, jedes menschliche Fehlverhalten als diagnostizierbare Störung anzusehen. Gemeint sind von den Autoren des genannte Buches Mitarbeiter einer Firma, die durch geschickte Manipulation ihre völlige Unproduktivität für ein Unternehmen verschleiern. Entscheidend für die „Diagnose“ ist die Trias aus Unterforderung, Desinteresse und Langeweile, die durch geschickte Verhaltensstrategien kaschiert wird, so dass aus dem das Unternehmen sabotierenden Mitarbeiter nach außen hin ein scheinbar vielbeschäftigter oder gar überforderter und überengagierter Kollege wird. Es handelt sich um eine bewusst versteckte Verweigerungshaltung der Betroffenen aus unterschiedlichen Motiven. Die Autoren des Begriffs gehen davon aus, dass „Boreout Betroffene“ eigentlich arbeiten wollen und sich gerne den Herausforderung des Arbeitsplatzes stellen wollen, nur die Vorgesetzten und die Strukturen des Unternehmens verwehren ihnen dies durch fehlerhafte Zuteilung der Arbeit oder Übertragung langweiliger Aufgaben. Die Betroffen leiden nach Ansicht der Autoren unter der Situation, tragen aber wesentlich zur Ausgestaltung und Aufrechterhaltung ihrer Situation bei.

„Boreout Betroffene“ sind jedenfalls wenn man sich die im Buch genannten Strategien anschaut, durchaus nicht überwiegend Opfer, sondern zumindest auch verantwortliche Täter, die planvoll und bewusst handeln. Sie schränken ihre Arbeitsleistung auf das Mindestmaß ein, das notwendig ist um die Position zu halten. Sie verweigern produktive Eigeninitiative und zeigen dafür umso mehr Initiative, Kreativität und Ideen um ihre Untätigkeit zu verschleiern. Die „Boreout Betroffenen“ kommen pünktlicher als andere Mitarbeiter, sie täuschen eine Identifikation mit dem Unternehmen vor („Pseudo-Commitment-Strategie“), mit einer „Flachwalzstrategie“ wird ein völlig übertriebener Zeitaufwand für ein Projekt simuliert. Feierabends wird im Korb oder Aktenkoffer eine Sammlung von Akten zur scheinbaren Nachtarbeit nach hause genommen. Im Flur des sollen die „Boreout Betroffenen“ nur geschäftig zu sehen sein, Pornoseiten, private Mails und eBay werden weggeklickt, sobald sich die Zimmertür öffnet. In einer Komprimierungsstrategie wird ein Auftrag schnell erledigt, aber suggeriert dass man noch lange damit beschäftigt ist, um die Zeit für private Aktivitäten nutzen zu können. Die Demonstration ständig ausgelastet zu sein kann in der Tat bei manchen Mitarbeiter sehr phantasievolle Strategien hervorbringen. Eine andere Variante des geschäftsschädigenden Verhaltens kann dabei auch die Strategie sein, Kunden zu suggerieren, dass ein bestimmtes Produkt nicht lieferbar ist, oder der Chef keine Termine frei hat, um neuen Aufgaben zu entgehen. Die Motive der „Boreout Betroffenen“ können sehr unterschiedlich sein, nicht selten wird eine Art Wiedergutmachung für empfundene Kränkungen oder tatsächlich oder scheinbar nicht eingelöste Versprechen des Arbeitgebers angegeben. Selbstverständlich können Minderwertigkeitsgefühle, Selbstunsicherheit, die Neigung zur paranoiden Verarbeitung von zwischenmenschlichen Situationen und viele andere psychische Probleme und Störungen zu Auslösung von solchen „inneren Kündigungen“ beitragen. Desinteresse an einer Tätigkeit muss allerdings nicht unbedingt an psychischen Störungen oder Fehlverhalten des Arbeitgebers mit mangelnder Motivationsarbeit liegen. Zumindest in den frühen Stadien dieser inneren Emigration haben viele Betroffene auch immer wieder selbst eine Chance durch Verbesserungsvorschläge nicht nur die eigene Position sondern auch die Abläufe in einem Unternehmen zu verbessern. Ob nun ein Unternehmen oder eine Vorgesetzter die Entwicklungsmöglichkeiten eines Mitarbeiters behindert oder dieser selbst die Chancen verpasst, die eigenen Fähigkeiten im Beruf einzubringen kann man im Einzelfall schwer unterscheiden. Manchmal sind die Anforderungen eines Arbeitsplatzes aber einfach eine Unterforderung eines qualifizierten Mitarbeiters. Schuldzuweisungen sind dann von Anfang an der falsche Weg um die Karriere zu befördern. Der Arbeitsmarkt bietet bei entsprechender Flexibilität vielen Betroffenen mehr Alternativen als sie für sich sehen. Chronische Arbeitsunzufriedenheit schadet dem Selbstwertgefühl der Betroffenen und deren Gesundheit, sie schadet auch jedem Unternehmen. Kunden werden dann schnell lästige Störenfriede, die Zusammenarbeit mit Kollegen, Vorgesetzten und anderen Abteilungen wird schlecht und dann manchmal in Verkennung von Ursache und Wirkung als Mobbing erlebt. Boreout ist nicht Karriere fördernd und das private Selbststudium während der Arbeitszeit fördert nur selten die Kompetenz für den nächsten Job. In eingefahrenen Situationen ist es auch für Betroffene sinnvoller den Arbeitsplatz zu wechseln und einen Neuanfang zu machen. Wer ein Boreout zu lange durchhält wird mit vergleichsweise hoher Wahrscheinlichkeit im nächsten Unternehmen ähnliches konstruieren.

Mangelnde Kompetenz von Vorgesetzten, die Arbeitsvorgänge nicht selbst überblicken und kontrollieren können, kann Destruktivität von Mitarbeitern fördern. Übertriebene Kontrollen und fehlende Anerkennung können kränken. Überfordernde, langweilige oder wenig konkrete Aufgabenstellungen können der Motivation von Mitarbeitern abträglich sein, die emotionale wie fachliche Kompetenz von Vorgesetzten kann in diesen Bereichen eine vorbeugende Wirkung haben. Das voll ausgebildete „Störungsbild“ ist vermutlich nur durch Kündigung für das Unternehmen heilbar. Die Ansteckungsgefahr oder Infektiosität solcher Verhaltensweisen ist nicht zu unterschätzen. Selbstverständlich gibt es Situationen, in denen die Aufrechterhaltung einer solchen Boreout- Situation aus der Sicht von Betroffenen verständlich ist. Das kann beispielsweise die Hoffnung sein, so den gefährdeten Arbeitsplatz oder die eigene Position noch die wenigen Jahre bis zur Rente zu sichern. Schlechtes Arbeitsklima kann komplexe Ursachen haben, nicht immer sind die anderen Mitarbeiter oder die Vorgesetzten schuld. Primär durch Persönlichkeit, Erziehung oder Motivationsschwäche bedingte mangelnde Selbstständigkeit wird nicht selten dadurch verschleiert, dass man jede Gelegenheit nutzt sich als Opfer zu sehen und anderen die Schuld zu geben. Ob man die fehlende Kompetenz sich dem Konkurrenzkampf mit wirklich engagierten Mitarbeitern zu stellen, als Entschuldigung für die oben genannten destruktiven Verhaltensweisen ansehen kann, ist zweifelhaft. Ob alle, die privates Internetsurfen bei der Arbeit ihren Aufgaben vorziehen als Leidenden zu betrachten sind, ist jedenfalls sehr zweifelhaft, und dürfte vor den Arbeitsgericht kaum als Entschuldigung taugen. Hieran wird auch der Begriff „Boreout´“ (hoffentlich) nichts ändern.

 

Quellen / Literatur:

  • Diagnose Boreout Philippe Rothlin und Peter R. Werder, Redline Wirtschaftsverlag; Auflage: 1 (März 2007) ISBN-10: 3636014625
  • Motivations-Defizit-Syndrom (sehenswerter. für alle die es nicht merken, satirischer Filmbericht bei youtube)
Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur