Mobbing

Eine einheitliche, international anerkannte Definition für Mobbing existiert nicht. Der Begriff wurde geprägt von Bilz R in ( Menschliche Anstoßaggressivität (Mobbing). Dtsch Arztebl 1971; 68: A 237–241 [Heft 4]). Gruppen definieren sich über Außenseiter und diejenigen, die nicht dazu gehören. Gruppen attackieren damit auch Normabweichler um ihre eigenen Normen zu definieren und zu schützen. (Siehe auch bei Goffman, E. Stigma: Notes on the Management of Spoiled Identity, Prentice-Hall, 1963. und Asylums: Essays on the Social Situation of Mental Patients and Other Inmates, Anchor Books, 1961, Doubleday (New York City), 1990.) Definition der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz 2002: Unter Mobbing ist wiederholtes, unangemessenes Verhalten gegenüber einem Beschäftigten oder einer Gruppe von Beschäftigten zu verstehen, das Gesundheits- und Sicherheitsrisiken hervorruft. Innerhalb dieser Definition bedeutet: „unangemessenes Verhalten“ jedes Verhalten , das von vernünftig reagierenden Menschen unter Beachtung aller Umstände als Unterdrückung, Demütigung, oder Bedrohung verstanden wird, „Verhalten“ Handlungen von Einzelpersonen oder Gruppen , Daran kann auch ein Arbeitssystem beteiligt sein, wenn es als Instrument eingesetzt wird, um unterdrückende, demütigende, zerstörerische oder bedrohende Wirkungen zu erzielen. „Gesundheits- und Sicherheitsrisiken“ eine Gefährdung der geistigen oder körperlichen Gesundheit des Beschäftigten. Mobbing vollzieht sich häufig in Verbindung mit einem Missbrauch von Macht bei dem die Opfer Schwierigkeiten haben, sich zu wehren. Factsheet der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. Mobbing ist ein Coping der Gruppe im Umgang mit Abweichungen von einer impliziten Gruppennorm. Ziel ist, dass die Gruppe verlässlich funktioniert. Es macht unter diesem Blickwinkel Sinn, wenn der Mobbing-Mechanismus früh anspringt und Abweichler oder als schwach empfundene Rollenträger entweder schnell zur Räson und zur Anstrengung gebracht oder aus der Gruppe ausgeschlossen werden. Die Tatsache, dass unter Umständen überreagiert wird und sogar besonders Begabte, Sensible attackiert und ausgeschlossen werden, wird dabei offensichtlich als Fehler in Kauf genommen. Gruppenführer vertreten die Normen der Gruppe oft besonders deutlich oder gar aggressiv, um sich zu profilieren. Zitat nach: Roth, Prof. Dr. phil. Dipl.-Psych. Wolfgang Mobbing: Eine Theorie für die TherapieDtsch Arztebl 2002 PP 1, Ausgabe September 2002, Seite 416. Unter Mobbing sind negative gegen ein Individuum gerichtete kommunikative Aktionen einer oder mehrerer Personen, die sehr häufig über längere Zeit geschehen, zu verstehen, wobei sie die Beziehung Zwischen Täter und Opfer charakterisieren. Unter Mobbing werden schikanöse, drangsalierende oder gezielt benachteiligende Handlungen in der Arbeitswelt verstanden. (Leymann, H. (1993 a). Mobbing: Psychoterror am Arbeitsplatz und wie man sich dagegen wehren kann. Reinbek: Rowohlt, S.21).

Die Gründe, warum jemand zum Mobbingopfer wird, sind sehr unterschiedlich. Defizite im Bereich der sozialen Kompetenz und Kommunikationsfähigkeit, Verhaltensauffälligkeiten, mangelhafte Kollegialität, zu hohe Erwartungen, Zugehörigkeit zu einer Minderheit usw. auf der Seite des Opfers können ebenso ausschlaggebend sein, wie in der Gruppe oder dem Betrieb geplante Personalreduzierungen, zunehmender Konkurrenzdruck, Umstrukturierungen, Rivalitäten innerhalb einer Abteilung usw.. Nicht selten ist es aber auch der Kündigungsschutz der eigentlich Arbeitsplätze sichern soll. Der Betrieb will alte und schwache Arbeitnehmer loswerden, und kann diese nicht gesetzlich kündigen, weil sie zu lange im Betrieb sind usw. Oft ist dabei auch der neu beantragte Schwerbeschädigten- Ausweis oder ein ärztliches Attest der Startpunkt einer Mobbingkarriere. Der Betroffene erhofft sich vom Schwerbeschädigten- Ausweis oder einem ärztliche Attest eine Vergünstigung im Betrieb, leichter Arbeit, keine Schicht mehr etc. Er traut sich auch eher sich krankschreiben zu lassen. Neid der Kollegen auf die gewährten Vergünstigungen und das Bestreben des Betriebes den nun anerkannt Schwachen loszuwerden können hier Hand in Hand gehen und schnell zu Mobbing führen. Traumatische Vorerfahrungen in einem anderen Betrieb- aber bei einen großen Teil auch in der Herkunftsfamilie, Partnerschaft, Schule, Ausbildung,.. ebenso wie aktuelle private Konflikte machen manche Betroffene empfindlich gegen Kränkungen. Aktuelle private Probleme oder psychische Störungen erhöhen oft ebenfalls die Kränkbarkeit. Hohe Kränkbarkeit führt nicht selten zum Rückzug der Kollegen, die sich im Umgang mit dem „sensiblen“ Kollegen überfordert fühlen. Das dann empfundene Aussenseiterdasein kann bei Betroffenen sich wiederum negativ auf das kollegiale Verhalten auswirken. Bei Angriffen auf die Person oder das Verhalten ist dann der Rückhalt unter den Kollegen im Betrieb oft nicht mehr besonders groß.

Wer unliebsame Angestellte loswerden will, aber nicht darf, findet Wege, um sie zu zermürben. Diese Situation gilt auch für ehemals leitende Mitarbeiter. „Sterbezimmer“ heißen die Räume, in die Arbeitgeber unliebsame, aber unkündbare Mitarbeiter verfrachten. Der Arbeitgeber will oder kann dem Betroffenen keine Arbeit mehr geben. Er will oder kann ihn nicht entlassen, weil die Abfindung zu teuer wäre, weil er Kündigungsschutz genießt, oder weil eine neue Führungsspitze um Imageschäden durch Massenentlassungen fürchtet etc. (Siehe Melanie Amann FAZ vom 24.12.06). Als „Rudelmobbing“, wird bezeichnet, wenn der Chef und Teile des Personals als Gruppe einen Kollegen mobben. Während Mobbing aus streßtheoretischer Perspektive als eine Extremform sozialer Stressoren verstanden wird, kann Mobbing aus konflikttheoretischer Sicht als ein nicht richtig gelöster Konflikt mit defizitärer Konflikthandhabung bezeichnet werden, der aufgrund seiner Dauer und seiner Intensität eine höhere Eskalationsstufe mit zunehmendem Machtungleichgewicht erreicht hat.

„Bei der Arbeit ist Anerkennung geradezu Bestandteil eines Vertrages. Wenn die entsprechende Gegenleistung fehlt, ist das schmerzhaft, selbst für jene, die eigentlich ein gutes Selbstwertgefühl haben.“ Der ungeschriebene Vertrag erfüllt sich nicht, wenn wir für unsere Arbeit zu wenig Geld, Wertschätzung, Sicherheit oder Aufstiegschancen bekommen, wenn wir Schikanen im Büro ertragen, weil draußen nur Arbeitslosigkeit wartet“. (Geo 3/2002) Die Erwartungen an den Arbeitsplatz sind dabei offensichtlich bei den meisten Menschen deutlich höher, als es der betrieblichen Realität entspricht- siehe unter Arbeitsplatzzufriedenheit. Ob es immer gerechtfertigt ist, die hohen Erwartungen hinsichtlich Zufriedenheit, Karrierechancen, Hebung des Selbstwertgefühls… an den Arbeitsplatz zu haben, wird unterschiedlich beurteilt, sicher ist aber, dass es eine erheblich Diskrepanz bei den meisten Menschen zwischen den Erwartungen an den Arbeitsplatz und er betrieblichen Realität gibt.

„Mobbing am Arbeitsplatz ist seit Anfang der Neunziger Jahre im deutschsprachigen Raum ein viel diskutiertes Thema geworden. In der Untersuchung von Knorz, C. et Zapf, D. (1996). Mobbing – eine extreme Form sozialer Stressoren am Arbeitsplatz. In Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 40, S.12-21.) waren die am häufigsten genannten Mobbing-Aktionen: hinter dem Rücken schlecht über jemanden sprechen; abwertende Blicke oder Gesten; Kontaktverweigerung durch Andeutungen; jemanden wie Luft behandeln; falsche oder kränkende Beurteilung der Arbeitsleistung. Gegeben hat es Mobbing immer. In einer Umfrage fühlten sich 9 % der Arbeitnehmer in Europa, d. h. 12 Millionen Personen, Einschüchterungsversuchen ausgesetzt (Schikanen/Mobbing), 2 % gaben an, dass sie innerhalb der letzten 12 Monate unter sexueller Belästigung zu leiden hatten. 2% der Arbeitnehmer waren der Gewalt von Personen bei der Arbeit ausgesetzt, und 4% der Arbeitnehmer erfuhren Gewaltakte durch andere Personen. (Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz) 30% aller Jungs sind bereits auf dem Schulhof als Opfer oder Täter involviert. (Tonja R. Nansel Bullying Behaviors Among US Youth, Prevalence and Association With Psychosocial Adjustment JAMA. 2001;285:2094-2100) Auch bei den Kindern schon mit durchaus gravierenden Folgen. Hierzu zählen nicht nur die spektakulären Amokläufer unter bewaffneten amerkanischen Jugendlichen sondern vor allem gravierende Anpassungsstörungen und körperliche Symptome.

Mobbing ist meist unter Kollegen zu finden, die sich auf gleichem hierarchischen Niveau befinden (44%), oder der Täter hat einen höheren Status (Chef: 37%). In 10% der Fälle sind sowohl Kollegen des gleichen hierarchischen Niveaus als auch der Chef an Mobbing beteiligt. Nur in 9% der Fälle greifen Untergebene ihren Chef an (Leymann, 1993). Eine sozial schwache Position ist also ein größerer Risikofaktor. In Bezug auf die Umgebung des Arbeitsplatzes beginnt Mobbing mit einem Konflikt. Meist kommt es dann zu Mobbing, wenn schwerwiegende organisatorische Defizite in der Organisation vorhanden sind oder die Beaufsichtigung der Arbeit und der Entwurf sowie die Verteilung der Aufgaben (Leymann, 1993) mangelhaft sind. Wenn Konflikte nicht in adäquater Weise vom Management gelöst werden, können sie Mobbing zur Folge haben. Ist es zum Beispiel so, dass in einer Arbeitsgruppe ein Gruppenmitglied zuviel Arbeit zugeteilt bekommt und ein anderes zu wenig, kann dies einen Konflikt auslösen, wenn es aufgrund dieser ungleichen Arbeitsverteilung zu schlechten Arbeitsergebnissen kommt. Statt dass sich das überarbeitete Gruppenmitglied an seinen Vorgesetzten wendet und auf die ungleiche Arbeitsverteilung hinweist, unterstellt es dem Mitglied, dem zu wenig Arbeit zugeteilt wird, Faulheit oder sonstige negative Eigenschaften, was für das überarbeitete Mitglied Mobbing gegen das angeblich „faule“ Gruppenmitglied rechtfertigt. Gemobbt wird also in alle Richtungen: nach unten (Abwärts-Mobbing), von den Kollegen untereinander (horizontales Mobbing), nach oben (Aufwärts-Mobbing), von anderen Berufsgruppen usw. „Mobbing ohne Mitverschulden Vorgesetzter ist allerdings nur schwer vorstellbar, doch sollte man den Vorgesetztenbegriff hier nicht auf Kollegen einengen, weil ohne (wenigstens) das Wegsehen der Verwaltung und des Betriebsrats Mobbing gar nicht funktionieren könnte.“

Bewältigungsstrategien der Betroffenen: Als erfolgreich Bewältigende werden Mobbingbetroffene bezeichnet, deren Situation am Arbeitsplatz sich nach ihrer Einschätzung verbesserte, während sich die der nicht-erfolgreichen subjektiv verschlechterte. Knorz und Zapf (1996) kommen zum Ergebnis: Betroffene können Mobbing dadurch bewältigen, dass sie Handlungen vermeiden, die potentiell zu einer Eskalation der Situation beitragen könnten oder eine Flucht aus dieser bedeuten würden. Erfolgreiche Strategien sind Mobbingsituationen auszuweichen, die Situation am Arbeitsplatz zu ignorieren, nicht häufiger am Arbeitsplatz zu fehlen und sich nichts zu schulden kommen zu lassen, also alle Handlungen zu vermeiden, die potentiell zu einer Eskalation der Situation beitragen könnten. Nicht erfolgreiche Strategien sind Gespräche mit Angreifern zu führen oder den Betriebs- oder Personalrat einzuschalten (Knorz et al., 1996). Oft ist es sinnvoll die Situation zunächst mit nicht betroffenen Freunden oder dem Partner zu besprechen. Ein Anwalt stellt selten langfristig den Betriebsfrieden wieder her, juristische Schritte sind daher in der Regel erst sinnvoll, wenn der Entschluss zu einem Wechsel des Arbeitsplatzes gefasst ist. In vielen Fällen ist eine psychotherapeutische Unterstützung erforderlich. Dabei geht es zunächst um die Verbesserung der eigenen Strategien im Umgang mit den eigenen Emotionen und dem Konflikt am Arbeitsplatz, nicht überwiegend um die „Schuldigen“ unter den Kollegen.

Schätzungen zu den durch Mobbing verursachten gesellschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Kosten sind hoch. Zu unterscheiden sind die „individuellen Kosten“ (also zum Beispiel die gesundheitlichen Folgen für den Gemobbten), die „betrieblichen Kosten“ (beispielsweise infolge von Arbeitsausfällen, Minderleistung oder Kündigung und Neueinstellung) sowie die „gesellschaftlichen Kosten“ (durch Arbeitslosigkeit, Heilbehandlungen, Dauerarbeitslosigkeit, Frühverrentung..). Die Mobbingberatungsstelle Hannover (Internet: www.mobbing-net.de ) hat typische individuelle Mobbingkosten zusammengestellt, die sich aus einer belastenden Arbeitsplatzsituation für das Mobbingopfer ergeben sollen. Aufgelistet werden körperliche Beschwerden wie Kopfschmerzen, Magenschmerzen, Übelkeit, Appetitlosigkeit, Druck auf der Brust, Zittern und weiche Knie, Verdauungsprobleme, Rückenschmerzen, Muskelschmerzen, Herz- und Kreislaufprobleme, Atemnot, Schwindelgefühl, Schweißausbruch und Schlafstörungen sowie psychische Beschwerden wie Konzentrationsprobleme, Gedächtnisstörungen, Selbstzweifel, Depressionen, Antriebslosigkeit, Weinkrämpfe, Gefühl der Verzweiflung, Selbstmordgedanken, Hypersensibilität, gereizte/aggressive Stimmung, innere Unruhe, Zwangsgedanken und Albträume. Schätzungen veranschlagen die betrieblichen Mobbingkosten für ein Krankenhaus oder einen anderen Arbeitgeber auf 50 000 DM bis 150 000 DM pro Jahr und Betroffenen. Die gesellschaftlichen/ volkswirtschaftlichen Mobbingkosten werden für Deutschland auf mehr als 100 Milliarden DM jährlich geschätzt. Es ist bei solchen Schätzungen allerdings immer zu berücksichtigen, dass je höher die Schätzung um so besser für eine Interessengruppe.

Mobbing im Urteil der Juristen: BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 14.2.2001, B 9 VG 4/00 R Nach § 1 Abs 1 OEG erhält ua derjenige auf Antrag Versorgung, der infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Erforderlich ist danach – neben anderen Voraussetzungen – ein tätlicher Angriff als eine in strafbarer (dh mit Strafe bedrohter) Weise unmittelbar auf den Körper eines anderen abzielende Einwirkung (BSGE 77, 11, 13 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7; BSGE 81, 288, 289 = SozR 3-3800 § 1 Nr 12). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Der Kläger ist – abgesehen von dem vereinzelten Fußtritt – nicht tätlich angegriffen worden. Angehörige der Freiwilligen Feuerwehr mögen ihn verbal und nonverbal in seinem Ansehen, seiner Ehre, gesellschaftlichen Reputation und Selbstachtung attackiert und verletzt haben. Solche Vorgänge des gesellschaftlichen, insbesondere des Arbeitslebens fallen auch dann nicht unter den Begriff des tätlichen Angriffs, wenn das dadurch missachtete, herabgesetzte, sozial ausgegrenzte oder gar geächtete Opfer psychisch erkrankt. Denn für die Anwendung des OEG ist von seinem Grundgedanken auszugehen, dass nur Opfer von Gewalttaten entschädigt werden sollen (vgl die Gesetzesbegründung, BT-Drucks 7/2506 S 7). Das OEG deckt mithin nicht alle – sonstigen – aus dem Gesellschaftsleben folgenden Verletzungsrisiken ab, die einem anderen als dem Geschädigten zuzurechnen sind (vgl Wulfhorst, Soziale Entschädigung – Politik und Gesellschaft, 1994, 150). Solche nicht unter § 1 OEG fallenden Verletzungsrisiken birgt ein „Mobbing“. Darunter ist ein über längere Zeit sich hinziehender Konflikt zwischen dem Opfer und Personen seines gesellschaftlichen Umfeldes zu verstehen, in dessen Verlauf das Opfer verbal attackiert, in seinen Möglichkeiten zur Kommunikation eingeschränkt, in seinen sozialen Beziehungen angegriffen und in seinem Ansehen herabgesetzt wird (vgl zum Begriff Fischer/Riedesser, Lehrbuch der Psychotraumatologie, 2. Aufl 1999, 331 ff; speziell zum Arbeitsrecht Kollmer, Mobbing im Arbeitsverhältnis, 2. Aufl 2000, 2 ff; BAG DB 1997, 1475). Außer in Extremfällen wird dabei der Rahmen des zwar gesellschaftlich missbilligten, aber nicht strafbaren nicht verlassen und die Schwelle zum kriminellen Unrecht nicht überschritten (vgl Kollmer, aaO, 83). Nur jenseits dieser Schwelle und selbst dort nur ausnahmsweise werden einzelne „Mobbing“-Aktivitäten als auf den Körper des Opfers zielende Einwirkungen und damit als tätliche Angriffe iS des OEG anzusehen sein. Von den vor allem bei „Mobbing“ in Betracht kommenden Ehrverletzungsdelikten Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung (§§ 185, 186, 187 Strafgesetzbuch ) kann nur die Beleidigung auch durch Tätlichkeit begangen werden. Dasselbe gilt für die Nötigung (§ 240 StGB) und wird bei der Körperverletzung (§ 223 StGB) die Regel sein. Der einzige im Verlauf des gesamten „Mobbing“-Prozesses gegen den Kläger gerichtete tätliche Angriff war der Fußtritt eines seiner Feuerwehrkameraden. Dieses – körperlich folgenlose – Ereignis käme für sich genommen als wesentliche Ursache beim Kläger vorliegender psychischer Erkrankungen mit Wahrscheinlichkeit nur in Betracht, wenn es der herrschenden Meinung in der medizinischen Wissenschaft entspräche, dass Ereignisse dieser Art allgemein geeignet sind, solche Krankheiten hervorzurufen (SozR 3-3800 § 1 Nr 3). Diese Frage hat das LSG – vom Kläger unangegriffen – verneint. Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich der geltend gemachte Anspruch nicht auf das Argument stützen, „Mobbing“ müsse wegen der Gefahr schwerer psychischer und psychosomatischer Schäden unabhängig von Art, Zahl und Qualifikation einzelner Aktivitäten als tätlicher Angriff angesehen werden. Dieser Ansicht zu folgen hieße, die begrenzende Funktion des Merkmals „tätlicher Angriff“ in ihr Gegenteil zu verkehren. Das OEG entschädigt nicht jeden von einem beliebigen Unglücksfall Betroffenen, wie etwa eine allgemeine Volksversicherung gegen schwere Unfälle aller Art. Selbst die Opfer von Straftaten werden nicht ausnahmslos, sondern nur als Betroffene einer mit Gewaltanwendung verbundenen Straftat entschädigt (BT-Drucks 7/2506 S 10). Mit dem Abgrenzungsmerkmal vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff scheidet das Gesetz die entschädigungspflichtigen von den sonstigen Straftaten. Es erweitert den auf diese Weise eng gehaltenen Kreis entschädigungsberechtigter Opfer nur um die in § 1 Abs 2 Nrn 1 und 2 OEG genannten Fälle des mit gemeingefährlichen Mitteln begangenen Delikts und der vorsätzlichen Giftbeibringung, weil hier ebenfalls ein gewaltsamer Bruch der Rechts- und Friedensordnung vorliegt (vgl BT-Drucks aaO). Damit sind nicht nur reine Vermögensschäden, wie sie durch Betrug, Untreue und ähnliche Straftaten häufig entstehen, von staatlicher Entschädigung nach dem OEG ausgenommen. Ausgenommen sind auch die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen solcher Straftaten. So erwerben die Angehörigen eines um sein gesamtes Vermögen gebrachten Betrugsopfers keinen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung, wenn sich der Betrogene aus Gram über den Verlust von Hab und Gut umbringt. Der Kläger kann sich für seine Ansicht auch nicht auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts berufen. Der Senat hat zwar entschieden, dass die durch neuere Forschungsergebnisse bestätigte Gefahr schwerer psychischer Schädigungen auch bei gewaltfreiem Missbrauch von Kindern einen staatlichen Opferschutz auch im Hinblick auf diese Folgen verlange, die gerade die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft treffen (BSGE 77, 11, 13 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7). Damit hat der Senat aber nicht den tätlichen Angriff von seinen (schweren) Folgen her definiert, sondern die ihm vom Gesetzgeber überlassene Aufgabe wahrgenommen, den tätlichen Angriff des OEG ohne Bindung an den – umstrittenen – Gewaltbegriff des Strafrechts näher zu bestimmen (vgl auch BSGE 77, 7, 9 = SozR 3-3800 § 1 Nr 6). Auch die vom Kläger verlangte Gesamtbetrachtung des mehrjährigen „Mobbing“-Prozesses verhilft der Revision nicht zum Erfolg. Der Senat lässt offen, ob dabei dem LSG zu folgen ist, das unter Hinweis auf die Literatur (Heinz, ZfS 2000, 65 ff) angenommen hat, im OEG werde für den Begriff des tätlichen Angriffs wie auch sonst im deutschen Recht traditionell an Einzelhandlungen angeknüpft. Denn sollte diese Ansicht nicht zutreffen, so ändert sich an dem – für den Kläger hier negativen – Ergebnis nichts: Entschädigungsrechtlich relevant ist und bleibt einzig der Fußtritt, weil sämtliche weiteren „Mobbing“-Aktivitäten die Grenzen nur gesellschaftlich, nicht aber strafrechtlich missbilligten Verhaltens nicht überschritten oder – für den Fall einzelner Taten nach §§ 185 ff StGB – nicht unmittelbar auf die körperliche Integrität des Klägers abgezielt haben. Wie zu entscheiden wäre, bestände das „Mobbing“ aus einer Kette tätlicher Angriffe, die nicht jeder für sich genommen, wohl aber in ihrer Gesamtwirkung allgemein geeignet sind, eine psychische Krankheit hervorzurufen, lässt der Senat, weil ein solcher Fall hier nicht vorliegt, offen.

 

Quellen / Literatur:

Bullies down under. www.bulliesdownunder.com UK National Workplace Bullying Advice Line. Bully OnLine. Kosten: Report commissioned by the International Labour Organisation (ILO) Geneva: ILO, 2002. Bühring, Petra Arbeitsmediziner und Mobbing: Sensibilisieren, aufklären und vermitteln Deutsches Ärzteblatt 100, Ausgabe 33 vom 15.08.2003, Seite A-2138

Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur