Cauda-Equina-Syndrom

(ICD 10 G83.4). Wörtlich Pferdeschweif (nach dem Aussehen der unteren im Wirbelkanal liegenden und nach hinten ziehenden Nervenwurzeln). Da die knöcherne Wirbelsäule in der Entwicklung größer geworden ist, als das Rückenmark hat die untere Lendenwirbelsäule im Wirbelkanal kein Rückenmark mehr, sondern nur noch die nach unten und hinten ziehenden Nervenwurzeln, die in der Form einem Pferdeschweif ähneln. Deren Schädigung bezeichnet man als Cauda-Equina-Syndrom. Es handelt sich damit um eine deskriptive Diagnose, ursächlich können ganz unterschiedliche Erkrankungen zugrunde liegen. Gemeint sind Schädigungen die unteren Nervenwurzeln im Wirbelkanal unter dem 3. Lendenwirbel (L3), oder unter dem Conus medularis (unterster Teil des Rückenmarks). Bei der häufigsten Druckschädigung nimmt man als Ursache der Schädigung der Nervenwurzeln eine direkte mechanische Kompression, sowie venöse Stauung und den Stop der arteriellen Versorgung durch die Kompression der Nervenwurzeln im engen Spinalkanal an. Das Cauda-Equina-Syndrom ist ein neurochirurgischer Notfall. Beim Conus medullaris Syndrom liegt die Druckschädigung in den untersten Rückenmarkssegmenten S2 -S5. Auch hier entsteht meist das Krankheitbild einer peripher-neurogenen Läsion mit Gefühlsstörung im Bereich der Reithose, eine Lähmung des Beckenbodens, sowie Harn- und Stuhlinkontinenz, oft begleitet von zusätzlichen radikulären Lähmungen und evtl einem Cauda equina Syndrom. Selbst bei Läsion des Epiconus also der darüberliegenden Rückenmarkssegmente L3 bis S1 entsteht meist das Krankheitbild einer peripher-neurogenen Läsion ohne Zeichen einer Spastik, bzw. Zeichen einer zentralen Lähmung.

Die klinische Diagnose eines Cauda equina Syndroms wird gestellt wenn, Blasen-, Darmentleerungsprobleme und Sexuelle Probleme gleichzeitig mit Sensibilitätsstörungen im perianalen Bereich und im Bereich der Genitalien vorliegen. Blasenprobleme bestehen dabei als Unfähigkeit die Blase zu entleeren, Schwierigkeiten die Entleerung zu beginnen, verminderte Wahrnehmung der Entleerung, Unfähigkeit die Entleerung zu beenden oder zu kontrollieren. Ähnlich bezüglich der Darmentleerung auch hier kann eine Unfähigkeit die Entleerung wahrzunehmen oder zu kontrollieren und eine Verstopfung vorliegen. Bezüglich der sexuellen Funktionsstörungen kann es zu Impotenz, Unfähigkeit an den Sexualorganen Berührungen oder sexuelle Reize wahrzunehmen, Anorgasmie kommen. Die Unfähigkeit Wasser zu lassen, gilt als das wichtigste Warnsymptom und sollte Anlass sein umgehend einen Arzt oder eine Notaufnahme aufzusuchen. Die Symptome können jeweils auch nur partiell vorhanden sein. Weitere Symptome können Rückenschmerzen, radikuläre Sensibilätsstörungen an den Beinen, eine Lähmung in den Beinmuskeln, Reflexabschwächungen oder Reflexverlust an den Beinen jeweils einseitig oder beidseitig sein.

Symptomatisch bestehen zu Beginn häufig leichtere Blasen-, Darmentleerungsprobleme und Sexuelle Probleme. Es kann sich dabei um relativ unspezifische Symptome handeln, die der Patient möglicherweise nicht berichtet, weil ihm diese peinlich sind. Es muss also danach gefragt werden. Die Beschwerden und Symptome sowie der Befund müssen bereits bei der ersten Untersuchung ausführlich dokumentiert werden.

Beim Cauda-Equina-Syndrom bestehen meist asymmetrisch auftretende, segmentale schlaffe Lähmungen und Sensibilitätsstörungen ab L4. Daneben kann eine Areflexie des Detrusors mit Harnverhalt und, durch den Ausfall der parasympathischen Innervation, ein Verlust der Kontrolle über die Stuhlentleerung sowie eine erektile Dysfunktion bestehen. Ein akute auftretendes Cauda-Equina-Syndrom muss immer als Notfall angesehen werden. Entstehung z.B. durch einen großen Bandscheibenvorfall, Trauma, Tumor, oder eine Spinalkanalverengung anderer Ursache. Bei weitem häufigste Ursache des eher seltenen Syndroms sind große Bandscheibenvorfälle bei L4/5 und L5/S1 oft in Verbindung mit einem primär engen Spinalkanal. Entsprechend sind am häufigsten Männer zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr betroffen. Die meisten Bandscheibenvorfälle können konservativ behandelt werden, nur selten treten schwere neurologische Ausfallserscheinungen wie beim CES auf. Wenn sie Auftreten, müssen sie rasch diagnostiziert und behandelt werden. Das Cauda-Equina-Syndrom ist somit am häufigsten der seltene Notfall bei einem akuten Bandscheibenvorfall. Über die Häufigkeit dieser Komplikation gibt es sehr unterschiedliche Angaben in der Literatur, die von unter 1% bis zu 15% der großen Banscheibenvorfälle reichen. Bei dem größeren Teil der Betroffenen bestanden zuvor bereits längere Zeit Rückenschmerzen, nur bei einem kleinen Teil (bis zu 30%) sind die Beschwerden ganz akut aufgetreten.

Differentialdiagnose der Ursachen der Cauda equina Syndrome
Druckschädigung
durch Spondylose, Abszesse, Hämatome, bei M. Paget oder ankylosierender Spondylitis,
Infektiös: Cytomegalovirus, Varicella zoster, Epstein-Barr, Cryptococcus spp, HIV, Tuberkulose, Borrelien, HTLV1
Strahlentherapiefolge
Primäre Tumore und degenertive Prozesse: Ependymome, Schwannome, Lipome, Epidermoid, Neurinome (besonders bei Neurofibromatose Patienten), Neurofibrome, Astrozytome, Meningeome, Carcinoidtumore, Lymphome, Leukämie, Melanome, Facettengelenkszysten, perineurale Tarlovzysten, Hämangiome, Hämangioblastome, Varizen,
Metastasen: Nierenzell Ca, Brust-, Lungen-, Ovarial-, Endometrum-, Carcinoid-,
Hämangiome, Epithelzell-, Colorektale-, Prostatakarzinome
Paraneoplastisch
Entzündlich
Arcoidose, chronische autoimmune sensorische Polyradikulopathie,Polyradikulitis, Vaskulitis,
iatrogen: nach spinaler Manipulation (Einrenken), nach Spinalanästhesie oder Lumbalpunktion durch ein extradurales spinales Häematom, traumatischer spinaler intraduraler Arachnoidalzyste (Spine 22(5) 568-572). oder Abszess, als postoperative Komplikation durch Hämatome oder Gelschaumimplantat um die Dura zu schützen, direkte Druckschädigung durch Schrauben nach Wirbelsäulenoperation, Abszesse nach Wirbelsäulenoperation, sehr selten Blutungen/Hämatome bei Antikoagulantienbehandlung,

Diagnose: Cauda equina Syndrome sind selten, aber wenn die Symptome anhaltend sind, handelt es sich um eine massiv beeinträchtigende Behinderung. Die Diagnose ist im Akutfall nicht immer einfach, sogar sehr erfahrene Untersucher sollen in über 40% die Diagnose stellen, ohne dass dies im aktuellen Fall zutrifft. Bei der körperlichen Untersuchung muss die Sensibilität an den Beinen und perianal, die Kraft der Beinmuskeln und der anale Sphinktertonus, einschließlich Analreflex und Bulbocavernosusreflex (Stimulation der Glans Penis, oder Klitoris führt zu einer Kontraktion des Analsphinkters) untersucht werden. Bei entsprechendem klinischem Verdacht muss nach der zunächst obligaten körperlichen Untersuchung möglichst rasch eine Kernspintomographie der LWS durchgeführt werden, wenn eine Kernspintomographie der LWS nicht möglich ist (z.B. wegen nicht kernspintauglicher Implantate im Körper) ist eine Myelographie die aussagekräftigste Untersuchung. Evt. sind dann noch weitere Untersuchungen wie Lumbalpunktion, SSEP etc. erforderlich. Auch aus juristischen Gründen müssen neurologische Defizite, die bereits bei der Erstuntersuchung vorhanden sind, genau dokumentiert werden. Ein Sonderfall ist bei Säuglingen beschrieben, wo subkutane Lipome auch im Spinalkanal wachsen und ein Risiko für akut oder chronisch auftretende CES darstellen. Hier könnte auch bei fehlenden Symptomen eine prophylaktische Behandlung indiziert sein. Arch. Dis. Childh., 1965, 40, 207.

Die Prognose bei Druckschädigungen ist immer dann eher ungünstig, wenn bereits eine Harninkontinenz vorliegt. Im Verdachtsfall einer akuten Druckschädigung sollte deshalb frühzeitig operiert werden. Wenn das CES im Rahmen chronischer Rückenschmerzen- bzw. Ischialgien auftritt, ist die Prognose bezüglich einer Besserung der Blasen- und Darmentleerung wie auch der sexuellen Funktionsstörungen schlechter. Auch die Stuhlinkontinenz vor Op weist eher auf eine schlechte Prognose auch bezüglich der Harninkontinenz hin. Je älter der Patient bei Auftreten des CES, umso schlechter seine Prognose bezüglich sexueller Funktionsstörungen. Sensible Defizite bilden sich schlechter zurück als motorische(Spine:2000 – 25(12); 1515-1522). Auch die sofortige operative Behandlung, schließt somit bleibende Defizite nicht aus. Es handelt sich um einen neurochirurgischen Notfall. Operiert werden sollte allerdings nur bei eindeutiger Diagnose- angesichts von 40% positiver Fehldiagnosen neurochirurgischer Aufnahmeärzte nach der Literatur. In wieweit die sofortige operative Behandlung tatsächlich, die Prognose verbessert und es zu einer Rückbildung bereits eingetretener Defizite kommt, ist nach Studienlage fraglich, es besteht aber auch aus forensischen Gründen eine allgemeine diesbezügliche Empfehlung. In der Tendenz sprechen die vorhandenen Studien auch dafür, dass eine Operation innerhalb der ersten 12-24-48 Stunden die Prognose verbessert (siehe z.B. Spine:2000 – 25(12); 1515-1522, Spine. 2000 25(3):348-51 und Med Pregl. 2004; 57(7-8):327-30). Insbesondere ist eine sofortige Abklärung und ggf. Behandlung auch bei allen iatrogenen Cauda equina Syndromen notwendig, auch dann bleiben manchmal Folgeschäden. Randomisierte kontrollierte Studien wird man bei dieser Fragestellung am Menschen nicht durchführen können. In jedem Fall besteht eine Indikation zu einer sofortigen Einweisung in eine neurochirurgische Abteilung. Cauda equina Syndrome, die Restsymptome hinterlassen, führen oft zu gravierenden Behinderungen. Bedingt durch die Inkontinenz und die Lähmungen in der Beinmuskulatur resultiert nicht selten Invalidität. Soziale Beziehungen und Partnerschaften sind häufig beeinträchtigt, psychische Probleme nicht selten die Folge der organischen Behinderung. Nicht selten besteht auch eine behandlungsbedürftige chronische Schmerzsymptomatik fort. Rechtsstreitigkeiten wegen verspäteter Diagnose und Behandlung sind nicht selten, wenn Restsymptome verbleiben oder gar ein operativer Eingriff Ursache des Syndrom ist.

Cauda equina Syndrome können auch als chronische Krankheitsbilder bestehen. Dies kann Folge einer verspäteten Diagnose sein, oder mit der Grunderkrankung wie einer Multiplen Sklerose, einer Polyradikulitis etc. zusammenhängen. Die Behandlung richtet sich dann nach der Grunderkrankung. Bei einer Polyradikulitis kann auch nach längerem Verlauf noch eine gute Besserung auftreten, dies gilt auch für die anderen entzündlichen Erkrankungen, abhängig von der Grunderkrankung und deren Behandlung/Prognose..

Quellen / Literatur:

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Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur