Englisch auch „Internet Addiction“, „Internet Addiction disorder“, „Online Addiction“, „Pathological Internet Use“ „Net Addiction“, „Pathological Internet Use“, „Cyberdisorder“.
Der Begriff der Internetsucht wurde 1995 zunächst als Scherz eines amerikanischen Psychiaters (Ivan Goldberg) geboren, zu seinem Erstaunen aber ernst genommen und rasch als größeres Problem angesehen. Die Grenze zwischen normalem Medienkonsum, zum gewohnheitsmäßigen Konsum, zum schädlichen Gebrauch, und zur Abhängigkeit sind bei allen Süchten fließend. Zu den ICD 10 und DSM IV Kriterien der Sucht siehe auch unter Substanzmißbrauch. In der Regel sind Suchtkriterien eine Einengung des Verhaltensraums, Verheimlichung / Bagatellisierung der Sucht, Mehrfach fehlgeschlagene Versuche das Verhalten zu unterlassen, Kontrollverlust, Toleranzentwicklung, Entzugserscheinungen und negative soziale Konsequenzen. Sucht ist in erster Linie ein psychisches Problem, mit in der Regel bald auftretenden sekundären, körperlichen und sozialen Folgen. Sucht ist gekennzeichnet durch einen eigengesetzlichen Ablauf und durch den fortschreitenden Verlust freier Verhandlungsfähigkeit und Kontrolle über das eigene Verhalten. Sucht liegt dann vor, wenn eine prozesshafte Abfolge in sich gebundener Handlungen kritisch geprüfte, sorgfältige und folgerichtig gesteuerte Handlungsabläufe ersetzt. Sucht ist stets Krankheit.“ (Klaus Wanke und Karl Ludwig Täschner, Rauschmittel, Stuttgart 1985, S. 13) „Sucht ist ein unabweichbares Verlangen nach einem bestimmten Erlebniszustand. Diesem Verlangen werden die Kräfte des Verstandes untergeordnet. Es beeinträchtigt die freie Entfaltung einer Persönlichkeit und zerstört die sozialen Bindungen und die sozialen Chancen des Individuums“ (K. Wanke , in: Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (Hrsg.). Süchtiges Verhalten, 1985, S. 20).
Nun ist es immer schwierig bei häufig genutzten potenziellen Suchtmitteln die Grenze zwischen normalem Gebrauch und Abhängigkeit zu ziehen. Der größte Teil der Zigarettenraucher, Heroinkonsumente etc. ist eindeutig nach entsprechenden Kriterien abhängig. Beim Alkoholkonsum fällt es schon schwerer die Grenze zwischen normalem Konsum und Abhängigkeit zu ziehen. Die durchschnittliche Fernseh-Nutzungszeit wird in Österreich mit 157 Minuten pro Tag für 2006 angegeben. (Medienforschung ORF). Für 2006 werden für Deutschland bei den 3-13 Jährigen durchschnittlich 90 min/Tag, 14 -29 Jährigen durchschnittlich 140 min/Tag, 30-49-Jährige durchschnittlich 209 min/Tag Minuten, 50+ Jährigen durchschnittlich 278 min/Tag Fernsehzeit angegeben. Damit verbringen Deutsche also ab dem Kindesalter 1,5-fast 5 Stunden/Tag vor dem Fernseher, es handelt sich wie gesagt um Durchschnittswerte, bei denen man davon ausgehen muss, dass sie von vielen Nutzern weit überschritten werden. Damit verbringen deutsche Durchschnittsbürger einen erheblichen Anteil ihrer Freizeit vor dem Fernseher, sie vernachlässigen damit andere Freizeitaktivitäten, vernachlässigen soziale Kontakte, lassen sich berieseln anstatt zu kommunizieren, werden durch Bewegungsmangel fett mit Herzkreislaufrisiken bereits in jungen Jahren, schlafen schlechter und schaden ihrem Familienleben.
72% der 14 bis 64 jährigen Deutschen nutzen nach ACTA 2007 das Internet, nur bei 19% ist die Internetnutzung auf absehbare Zeit nicht geplant. 39% nutzen das Internet mehrfach täglich, 21% mehrmals in der Woche. 58,8% machen Einkäufe über das Internet, die meisten davon allerdings selten. Angebotsrecherchen und Preisvergleiche stehen noch weit vor Einkäufen und Buchungen. 2% halten Computer und Internet für ihre tägliche Information für unverzichtbar. Bei den tagesaktuellen Information steht aber weiter das Fernsehen mit 66%, die Zeitung mit 48%, das Radio mit 37% weit vor dem Internet mit 14%. Unter den Nutzern von Plattformen und Spielen wie „World of Warcraft“, „Counter Strike“ oder „Second Life“ sollen 21,9% der Studenten 33% der Selbstständigen, Hausfrauen und Hausmänner und 34,9 der Angestellten, 43,6% der Schüler, 52% der Arbeitslosen, mehr als 20 Stunden pro Woche mit dem Computerspielen beschäftigen. (Die Welt 20. August 2007). Diese Menschen verbringen damit etwa soviel Zeit mit ihrem Computerspiel, wie Vielseher vor dem Fernseher. Ob sie, oder wie vielen von ihnen zusätzlich noch fernsehen, ist nicht bekannt. Schnelle positive Rückmeldungen können hier,- wie bei anderen Spielen auch-, durchaus ein süchtiges oder zwanghaftes Verhalten begünstigen. Laut Timebudget verbrachten 14-49jährige Deutsche 2005 durchschnittlich 168 min vor dem Fernseher, 142 min mit dem Radio, 59 min im Internet und 36 min mit Zeitung und Zeitschrift pro Tag.
Im Gegensatz zum Fernsehen bietet das Internet Kommunikationsmöglichkeiten, die sich zwar auch positiv auswirken aber im Vergleich zur Kommunikation in Person auch viele Einschränkungen und Gefahren haben. Fast jeder sechste 15-Jährige verbringt laut Technikerkrankenkasse täglich mehr als 4,5 Stunden mit Computerspielen. Chatten, Instant Messaging, Community-Plattformen, bieten Kontaktmöglichkeiten aber auch die Gefahr von Ersatz für wirkliche Kontakte. Pseudonyme, falsche Identitäten, lockere Unverbindlichkeit bergen bei übermäßigem Gebrauch und Konsum das Risiko einer Scheinrealität. Bei Problemen kann die Identität oder die Community rasch gewechselt werden. Die Fähigkeiten wie Menschenkenntnis, Empathie, Respekt, Frustrationstoleranz, Problemlösefertigkeiten, können in dieser Scheinwelt mangels Training langsam schwinden. Dass sich Menschen im Fernsehen – ohne eigene Recherchemöglichkeit- weiter für am besten informiert halten (Timebudget), zeigt allerdings deutlich, dass das Fernsehen von den meisten Mitbürgern erheblich überschätzt wird, die Gefahren eines einseitigen Medienmonopols wenig gesehen werden und der passive Konsum dem kritischen Nachfragen vorgezogen wird. Die Flucht in eine Scheinwelt ermöglichen alle Medien, auch Bücher erlauben eine Traumerfüllung in der Identifikation. „Das Medium TV ermöglicht es, relativ bequem und einfach in andere Erlebensprozesse und Lebensgeschichten einzutauchen oder sich davon abzuheben.“ (Timebudget),
In der Nervenärztliche Praxis sieht man vor allem Probleme bei intensivem Konsum von Sexseiten durch Männer, hieraus resultieren nicht selten Eheprobleme und falsche Vorstellungen über Sexualität die eine gesunde Partnerschaft erheblich erschweren. Nicht ganz selten ist auch die Verschuldung von besonders jüngeren Männern durch extensive oder süchtige Nutzung von Sexseiten oder entsprechenden Handynummern. Ein Problem, das nicht anders ist, als beim Konsum von Pornographie über Videotheken oder entsprechende Fernsehkanäle. Insbesondere Eltern berichten häufiger über Jugendliche, die die Internetnutzung den Schulaufgaben vorziehen und dadurch erhebliche Schulprobleme bekommen. Auch problematische und selten auch gefährliche Internetbekanntschaften sind ein Thema. Schlafstörungen durch Internetsitzungen am Feierabend bis tief in die Nacht sind ebenfalls nicht selten. Cyberchondrie, die Angst an einer schweren Krankheit zu leiden, nachdem man seine Symptome in die Suchmaschine eingegeben hat, ist ebenfalls ein häufiges Problem. Isoliert subjektiv durch übertriebene Nutzung von Chats, Foren oder Newsgroups Geschädigte suchen zumindest selten psychiatrische oder psychotherapeutische Hilfe, wobei es sicherlich hier eine große Gruppe kontaktgestörter Menschen mit einem Online- Ersatzleben gibt. Ein Verlust freier Verhandlungsfähigkeit und Kontrolle über das eigene Verhalten, Verlangen dem die Kräfte des Verstandes untergeordnet werden, eine Beeinträchtigung der freien Entfaltung der Persönlichkeit mit Zerstörung von sozialen Bindungen und dem sozialen Chancen des Individuums ist bei manchen Internetnutzern durchaus gegeben. Damit kann man dies durchaus als Internet- oder Online- Sucht bezeichnen. Negative gesundheitliche Folgen, wie sie oben auch beim Fernsehkonsum genannt wurden können für Onlinesüchtige angenommen werden. Möglicherweise sind die Mediensüchte aber austauschbar, so dass es sinnvoller wäre den Oberbegriff zu verwenden. Auch zum Schluss der Hinweis, der Übergang zwischen normaler gesunder Nutzung und krankhafter oder süchtiger Nutzung ist fliesend. Entscheidend für die Diagnose sollte hier das subjektive Leiden der Betroffenen und/oder deren Angehöriger sein. Das Internet ist weder gut noch böse. Das Internet ist eine sehr nützliche Erfindung, die die Kommunikation und damit auch die Sozialisation erheblich vereinfacht hat. Wie jeder Gegenstand und fast jede Idee lassen sich auch das Internet und andere Kommunikationmedien für Verbrechen missbrauchen, und auch selbstschädigend verwenden.
In manchen extremen Fällen ist der Entzug, mit zumindest monatelanger völliger Einstellung der privaten Internetnutzung, sinnvoll. Oft ist ein fester Zeitplan für die Internetnutzung möglich. Ähnlich wie bei anderen süchtigen Verhaltensweisen ist ein anfängliche Unruhe als Entzugsymptom wahrscheinlich. Die Vorteile der großen Freizeit und des zunehmenden Wohlbefindens dürften aber bei vielen auch schnell spürbar werden. In manchen Fällen ist eine Psychotherapie sinnvoll.
Quellen / Literatur:
siehe auch http://www.webaholic.info/ Projekt „Internetsucht“ (Hahn & Jerusalem, Berlin) http://www.internetsucht.de Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie der Humboldt-Universität zu Berlin mit Online frei zugänglichen Veröffentlichungen zum Thema.