Sozialer Rückzug

Verminderung der Sozialkontakte. Wird beurteilt nach der Zugänglichkeit des Kranken im Gespräch und nach der Gemeinschaftsfähigkeit zu Menschen. Sozialer Rückzug ist ein häufiges Symptom vieler unterschiedlicher psychischer Störungen. Neben Antriebsmangel, Verminderung des Interesses an Kontakten, Misstrauen, Wahn, Ängste, Minderwertigkeitsgefühlen, Verbergen der psychischen Störung aus Scham etc. spielen auch negative Erfahrungen und die negative Interpretation von an sich normalen Situationen auslösend eine Rolle. Sozialer Rückzug kommt auch als Folge körperlicher Krankheiten vor. Dies betrifft vor allem Krankheiten, bei denen die Auffälligkeiten sichtbar sind, wie M. Parkinson, andere Tremorerkrankungen, Epilepsie, Dystonien, Inkontinenz, Zustand nach Neck Dissektion etc. Nicht zu unterschätzen ist der soziale Rückzug aus Scham auch nach realem Fehlverhalten wie gerichtlicher Verurteilung eines bis dahin gut integrierten Menschen wegen einer Straftat, oder einfach Scham wegen negativ empfundener Ereignisse, die auch die auch nur Mitglieder der Familie betreffen können. Letztere Tatbestände werden häufig auch bei psychiatrischen Untersuchungen nicht berichtet und müssen von dem symptomatischen sozialen Rückzug im Rahmen einer psychischen Störung unterschieden werden. Ähnliches gilt für den sozialen Rückzug wegen Geldmangel bei Arbeitslosigkeit oder anderen Armutsgründen. Typische Beispiele für psychische Störungen bei denen es zum sozialen Rückzug kommt sind Depressionen, Angststörungen, Zwangsstörungen oder Schizophrenien. Ein sozialer Rückzug kann dabei auch das erste Symptom einer psychischen Störung sein. Dies gilt besonders für Schizophrenien. Aber auch bei anderen Störungen wie einer Alzheimerdemenz kann die Überforderung durch das Nachlassen der kognitiven Fähigkeiten schon früh durch einen Rückzug versteckt werden.

Durch den sozialen Rückzug kommt nicht selten ein ungünstiger Teufelskreis in Gang. Fehlende Sozialkontakte verringern die Möglichkeit einer korrigierende positiven emotionalen Erfahrung gerade dann wenn es Menschen schlecht geht. Je weniger Kontakte vorhanden sind, umso empfindlicher werden Menschen in den verbleibenden wenigen Kontakten, umso eher kommt es dort wieder zu Kränkungen und einer Verstärkung des Rückzugs. Kontaktfähigkeit und auch andere Alltagsfähigkeiten gehen verloren. Fehlende Ablenkung vermindert die Chance einseitiges Grübeln zu relativieren. Oft sind sich die Betroffenen des entstehenden Teufelskreises nicht bewusst. Sie sehen ihren Rückzug ausschließlich als Reaktion auf die Symptome oder die Reaktionen der Umwelt. Das bewusste Wiederaufnehmen freundschaftlicher Kontakte oder das Knüpfen neuer Kontakte auch mit therapeutischer Hilfe kann ein Weg aus dem Teufelskreis sein.

 

Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur

Auch interessant: