Tagesschläfrigkeit

Eine vermehrte Tagesschläfrigkeit ist allgemein häufig. Der häufigste Grund für Tagesschläfrigkeit ist Schlafmangel, meist absichtlich herbeigeführt. Viele Menschen betrachten den Schlaf wie eine Bank, von der man bei Bedarf leihen kann, um länger wach zu bleiben. Die Ursachen können aber vielfältig sein. Neben häufigen neurologischen Erkrankungen wie der Alzheimerdemenz oder dem M. Parkinson kommen auch zahlreiche andere neurologische und neurodegenerative Erkrankungen in Betracht, zu denken ist auch an eine periphere Polyneuropathie, neuromuskuläre Erkrankungen, Epilepsie, chronische Schmerzsyndrome, Depressionen und andere psychiatrische, aber auch allgemeine Schwäche im Rahmen von Anämien oder entzündlichen bzw. Tumorerkrankungen, tatsächlicher Schlafmangel, medikamentös bedingt oder durch vermehrten Drogen- oder Alkoholgenuss verursacht, Schlafapnoesyndrome und eine Vielzahl anderer Ursachen kommen in Betracht. Häufig liegt aber auch eine genetische Veranlagung vor. Nach einer Untersuchung der amerikanischen „National Sleep Foundation 2000 Omnibus Sleep in America Poll“ berichten immerhin 43% der Erwachsenen über eine Schläfrigkeit, die soweit geht, dass sie die Alltagsaktivitäten an mehreren Tagen im Monat beeinträchtigt, 20% geben sogar an, dass dies auf mehrere Tage in der Woche zutreffe. Nach einer Untersuchung sind die Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit schlimmer als bei einer Alkoholintoxikation. Konzentration und Gedächtnis lassen nach, die Stimmung verschlechtert sich, was die Leistungsfähigkeit zusätzlich beeinträchtigt. In einer Untersuchung an LKW- Fahrern berichteten 40% dass sie bei mindestens 20% ihrer Fahrten Schwierigkeiten hatten wach zu bleiben. 20% gaben zu, mindestens 2x während der Fahrt eingenickt zu sein. Auf 50 000 wird die Zahl der durch Müdigkeit verursachten Verkehrsunfälle/Jahr in den USA geschätzt. Schläfrigkeit entspricht einem physiologischen Drang zu schlafen, der normalerweise beendet wird, wenn der Betreffende genügend geschlafen hat. Im Unterschied zu Müdigkeit ist dabei gemeint, dass Betroffene eine Tendenz haben einzuschlafen, dies in monotonen Situationen auch leicht tun, Betroffene schlafen am Wochenende meist aus, sie schlafen auch meist besonders rasch ein. Eine Vielzahl von Hirngebieten und fast alle bekannten Neurotransmitter haben Anteil an der Steuerung der Tageschläfrigkeit. Obwohl es zahlreiche Fragebogentests gibt, scheinen Angaben auf einer visuellen Analogskala zwischen hellwach und sehr schläfrig genauso zuverlässig zu sein, wie jeder Test. Apparativ wird im Schlaflabor am häufigsten der Multiple Schlaf Latenz Test (MSLT) nach einer Polysomnographie über Nacht eingesetzt. Dazu werden entsprechen verkabelte Patienten in einen ruhigen, bequemen und dunklen Raum gesetzt und gebeten sich nicht gegen das Einschlafen zu wehren. Abgeleitet wird ein EEG, EMG und die Augenbewegungen. Gemessen wird vereinfacht die Zeitdauer vom Ausschalten des Lichtes bis zum Einschlafen und das Vorhandensein oder die Abwesenheit von SOREMPs. Im Maintenance of Wakefulness Test erfolgt die gegenteilige Aufforderung, Betroffene sollen sich wach halten. Im MSLT, wird eine durchschnittliche Schlaflatenz >10 min als normal betrachtet, <8 min gilt als pathologisch und der 8–10 min Zeitraum gilt als Grauzone. Mehr als 2 SOREMPs gelten ebenfalls als pathologisch. Eine durchschnittlich Schlaflatenz <10 min im Maintenance of Wakefulness Test wird als pathologisch angesehen. Bei psychiatrisch bedingter Hypersomnie liegt in der Regel ein gestörter Nachtschlaf und ein Hyperarousal vor, bei primärer Hypersomnie liegt im Gegensatz dazu ein Hypoarousal vor.

Sozialmedizinisch und verkehrsmedizinisch gilt, wer einschläft darf nicht fahren. Fahrtüchtigkeit ist bei deutlicher Tagesschläfrigkeit nicht gegeben. Nach Aufnahme einer entsprechenden erfolgreichen Behandlung ist allerdings in der Regel wieder Fahrtüchtigkeit zu erwarten. Müdigkeit ist keine Entschuldigung für einen Unfall sondern verschärft das Strafmaß, da davon ausgegangen wird, dass der Betroffene dies rechtzeitig merkt. Je nach Beruf kann Tagesschläfrigkeit im Einzelfall Berufsunfähigkeit bedingen, dies gilt insbesondere, wenn trotz Einsatz effektiver therapeutischer Methoden ungewollte Schlafepisoden (oder Kataplexien) am Arbeitsplatz eintreten. Vollständige Erwerbsunfähigkeit wegen Tageschläfrigkeit ist auch unter Berücksichtigung der Behandlungsmöglichkeiten, die gesetzlich zumutbar sind, eine absolute Ausnahme.

GdB bei Schlafapnoe GdB bei Narkolepsie und Hypersomnie
ohne Notwendigkeit einer kontinuierlichen nasalen Überdruckbeatmung 0–10 Persistierende leichte Beeinträchtigung der Wachheit mit fakultativen Symptomen <40
mit Notwendigkeit einer kontinuierlichen nasalen Überdruckbeatmung
20
20 Persistierende mittelgradige Beeinträchtigung der Wachheit bei mindestens täglichem Einschlafen, Kataplexien und anderen fakultativen Symptomen <50
Trotz effektiver Therapie persistierende schwergradige Beeinträchtigung der Wachheit und Kataplexien >50 Trotz effektiver Therapie persistierende schwergradige Beeinträchtigung der Wachheit und Kataplexien >50
Übermäßige Tagesschläfrigkeit Kataplexie organische oder psychiatrische Ursache Poly-somnographie Multipler Schlaflatenz- Test
Narkolepsie mit Kataplexie Mindestens 3 Monate Eindeutige Anamnese fehlt durchschn. Schlaflatenz <8min
Narkolepsie ohne Kataplexie Mindestens 3 Monate Eindeutige Anamnese fehlt fehlt durchschn. Schlaflatenz <8min
Idiopathische Hypersomnie mit langer Schlafzeit Mindestens 3 Monate mindestens 10 Stunden Nachtschlaf ohne Erholung, Nickerchen ohne Erholung fehlt, insbesondere keine Schlafstörung, die die Tageschläfrigkeit auslöst > 10 Stunden Nachtschlaf durchschn. Schlaflatenz <8min, <2 REM Perioden zu Schlafbeginn
Idiopathische Hypersomnie ohne langer Schlafzeit Mindestens 3 Monate 6-10 Stunden Nachtschlaf ohne Erholung, Nickerchen ohne Erholung fehlt, insbesondere keine Schlafstörung, die die Tagesschläfrigkeit
auslöst
6-10 Stunden Nachtschlaf durchschn. Schlaflatenz <8min, <2 REM Perioden zu Schlafbeginn
Periodisch wiederkehrende Hyersomnie 2-28 Tagesperioden, z.B.:Kleine-Levin Syndrom oder menstruelle Hypersomnie 1x oder 2x im Jahr wiederkehrend insbesondere kein Hirntumor und keine bipolare Störung Keine Auffälligkeiten zwischen den Perioden (Wachheit, Aufmerksamkeit, kogn. Funktion, Verhalten)
Sekundäre Narkolepsie Mindestens 3 Monate möglich vorhanden durchschn. Schlaflatenz <8min, <2 REM Perioden zu Schlafbeginn
Sekundäre Hypersomnie Mindestens 3 Monate nein vorhanden durchschn. Schlaflatenz <8min, <2 REM Perioden zu Schlafbeginn
Diagnostische Kriterien der Narkolepsie und Hypersomnie nach der Internationalen Klassifikation für Schlafstörungen

 

Quellen / Literatur:

siehe auch unter Epworthskala der Schläfrigkeit (Epworth sleepiness scale) Narkolepsie, Hypersomnie, Kleine-Levin Syndrom, Schlaf-Apnoe-Syndrom, chronisches Müdigkeits- bzw. Erschöpfungssyndroms (chronic fatigue syndrome oder CFS) Christian Guilleminault and Stephen N. Brooks , Excessive daytime sleepiness: A challenge for the practising neurologist, Brain 2001 124: 1482-1491. [Abstract] [Full Text] Scammell TE, Estabrooke IV, McCarthy MT, Chemelli RM, Yanagisawa M, Miller MS, et al. Hypothalamic arousal regions are activated during modafinil-induced wakefulness. J Neurosci 2000; 20: 8620–8. S.Kotterba et al., Begutachtung der Tagesschläfrigkeit bei neurologischen Erkrankungen und dem obstruktiven Schlafapnoesyndrom (OSAS) Nervenarzt 2007 · 78:861–870

Dr. Johannes Werle

Dr. med Johannes Werle

Redakteur